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Der Fluch der Akribik, Teil 202
EPOCHENGERECHTES HERUMHOCKEN
Wer sommerlich gekleidete sitzende Figuren für Personenwaggons der 50er Jahre sucht, der muss einen großen Teil der Figuren aktueller Großpackungen als unbrauchbar beiseitelegen.
Nur die beiden Häufchen links und in der Mitte oben auf dem Foto oben eignen sich uneingeschränkt. Die beiden Häufchen links unten sind Figuren, die überarbeitet werden müssen (Köpfe austauschen, Arme korrigieren etc.). Der größte Figurenhaufen - rechts unten - ist für mich gänzlich unbrauchbar.
Als untypisch ausgeschieden habe ich z.B. eine Hochzeitsgesellschaft mit Herren in Frack und Zylinder, …
…Figuren, die schicke Klamotten aus späteren Jahrzehnten tragen, wie Windjacken und sich nach unten hin erweiternde Hosenrohre, …
… eindeutig winterlich gekleidete Personen (auf meiner Anlage ist es August und es hat zu Mittag 28°C), …
… und Männer mit Hüten. Hüte waren in geschlossenen Räumen abzunehmen, alles andere galt als rüpelhaft. Ein No-go, würde man heute sagen.
Auch Kinder mit Sandspielgerät...
… und Wirtshauspersonal …
… wollen nicht so recht in einen Personenwagen von 1955 passen.
Des Weiteren müssen noch ein paar Damen mit Frisuren, die eindeutig anderen Zeitabschnitten zuzuordnen sind, Damen mit "unschicklich" kurzen Kleidern und vereinzelt Figuren mit nicht der Zeit entsprechenden Utensilien entfernt werden.
Schließlich entferne ich noch alle jene offenkundig geistig beeinträchtigten Personen, die ohne Unterlass und Pause in einen Spiegel schauen oder ein Fernrohr vorm Gesicht brauchen, um nach dem Schaffner zu spähen.
So schmilzt der Inhalt mehrerer Figuren-Packungen rasch auf ein kleines Häufchen brauchbarer zeittypischer Gestalten in typischen Kleidern und in entspannter Körperhaltung.
Ergänzt werden sie durch etliche dauerhaft in unnatürlicher Haltung erstarrte Figuren, die man aber leicht korrigieren kann. Bei einem großen Teil dieser Herrschaften liegt der Verdacht nahe, dass sie einen strafrechtlich relevanten Tatbestand setzen, weil sie die Hand erhoben haben, als wollten sie den Führer zu grüßen, den sie mit einem U-Boot nach Argentinien geflüchtet wähnen:
Ein Gerücht übrigens, das sich in den Wirtshäusern auf dem Lande noch lange nach dem Krieg hartnäckig hielt. Wie auch immer, unnatürlich in erhobener Position erstarrte Arme kann man immerhin abschneiden und sie in eine weniger anstrengende Position bringen. Mit einigem Bastelaufwand werden sie die Auswahl jener Figuren ergänzen, die ich als uneingeschränkt brauchbar angesehen habe.
Bei der Sichtung der brauchbaren Figuren fällt auf, dass sitzende Jugendliche und Kinder-Figuren mit Schultaschen fehlen. Die zahlreichen Fahrschüler früherer Jahrzehnte, als Eltern noch kein Auto hatten, um ihre Kinder zur Schule zu bringen, und als es noch keine Schulbusse gab, kann man mit den aktuellen Packungen sitzender Figuren nur ungenügend nachbilden. Für mein Projekt spielt das allerdings keine Rolle, denn die Sommerferien enden in Kärnten seit jeher erst im September. Da es auf meiner Anlage August ist, muss ich eher aufpassen, dass ich nicht versehentlich Kinder mit Schultaschen an eine Bahnsteigkante stelle. Auch auf die Anzahl der besetzten Plätze darf sich das auswirken - in den Ferien werden in manchen sonst überfüllten Zügen sicherlich Plätze freigeblieben sein.
Was mir ebenfalls im Figuren-Angebot fehlt, ist eine Auswahl von sitzenden Personen in Tracht, die weder eine eindeutig grölende Körperhaltung einnehmen noch einander mit überdimensionierten Maßkrügen zuprosten. Trachten waren seinerzeit das Festtagsgewand der Landbevölkerung, und manche zogen sie auch an, wenn sie verreisten. Es gibt jedoch kaum sitzende Figuren in Tracht, welche die neutrale Körperhaltung eines entspannten Reisenden einnehmen.
"Ma, san des ane Kasnega!" hat die Mitzi gesagt [Meine Güte, sind die käsebleich!]. Nun, das wird sich mit dem Bemalen natürlich noch ändern.
Und wo diese sorgfältig aussortierten sitzenden Figuren hin sollen? Das sehen wir uns nächste Woche genauer an.
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@ Ralf: vielen Dank für deinen netten Besuch!
Euer Karl