... bevor es jetzt hier in die vollen geht, soll noch ein Punkt aufgeklärt werden: der Hiasl nennt sich auf Hochdeutsch Matthias, von dem nur die zweite Silbe übrig bleibt. Hintendran halt noch das "l" für die Verkleinerungsform. Vergleichbare Vornamens-Verkürzungen kennt man ja auch aus dem Rheinland: So ist z.B. "Dröck" (sorry, wenn ich das nicht lautmalerisch mit dem Vokal irgendwo zwischen ö und ü schreiben kann ) die Rheinische Kurzform von Gertrud. Oder Schäng bzw. Schang die "eingekölschte" Fassung des frzösischen Vornamens Jean - also Johannes.
Jetzt aber - erst mal - zur Geschichte, deren Überschrift sowie Protagonisten ja schon (teilweise) bekannt gegeben wurden. Ich konnte mir nicht verkneifen, diesen - zugegeben etwas mutwilligen "historischen Hintergrund" - zu meiner im Blockabstand folgenden Bastelei aufzuschreiben. So spontan die Idee zur Bastelei über mich kam, so spontan zündete die Idee zu der "Hintergrund"-Geschichte. Obwohl: so könnte es doch gewesen sein - oder etwa nicht?! Aber lest selbst ...
Der Kohler-Hiasl und das mitternächtliche G'sicht
Die handelnden Personen:
Der Kohler-Hiasl - Mühlfelder Großbauer und Gemeinderat
seine Frau Gundi
Eusebius Quirin Salvermoser - Pfarrer von Mühlfeld
Die Pfarr-Haushälterin
Der Loderer Toni - Gemeinderat und Widersacher
Der Mühlfelder Gemeinderat
Die Mühlfelder Bürger
Die Mitglieder des Mühlfelder Bauerntheaters
"Da Jessas!" murmelte der Kohler-Hiasl vor sich hin. "Da Jessas!" So kreidebleich, Schweiß auf der Stirn, ganz offensichtlich um Fassung ringend, das kannten die Mühlfelder bislang vom Hiasl nicht. Der war nämlich eigentlich a g'standenes Mannsbild, und als Großbauer des Ortes und außerdem Mitglied des Gemeinderats war der Hiasl ein einflussreicher, geachteter und bisweilen auch gefürchteter Bürger des Ortes. Und nun das ... ein Häuflein Elend, dem das frisch gezapfte Bier, das im Maßkrug vor ihm stand, heut' überhaupt nicht schmecken wollte.
Seine Frau Gundi, auf's Äußerste beunruhigt ob der ganz offensichtlichen seelischen Notlage ihres Gatten: "Wos is'n mit dem Jessas?!" "I hob an g'seng!" "Wos host?!" "I - HOB - AN - JESSAS - G'SENG!!!" Bei dieser sehr laut und deutlich vorgetragenen Aussage war es um Frau Gundi geschehen, sie brach in Tränen aus und stürzte aus der Stub'n ...
Pfarrer Eusebius Quirin Salvermoser, dem das verstörende Geschehnis nicht verborgen geblieben war, sagte zur Großbäuerin, die ihn in ihrer Not aufgesucht und ihm die Geschichte erzählt hatte: "Nun, Frau Gundi, Ihr Gatte, der werte Herr Hiasl, sollte sich mir anvertrauen, um sein Seelenheil wieder zurück zu erlangen. Den Herrn Jesus gesehen zu haben - das ist ein Wunder und auf Erden nicht jedem vergönnt. Aber es bedarf der strengen Prüfung - und natürlich meines geistlichen Beistands!" Wenn Frau Gundi geahnt hätte, was der listige Pfarrer wirklich dachte und im Schilde führte, und was sich letztlich daraus entwickeln würde, ob sie dann ihren Herrn Gemahl zum Pfarrer bugsiert hätte?
Schließlich hatte die mitternächtliche Geschichte, die dem Hiasl angeblich widerfahren war, sich wie ein Lauffeuer in Mühlfeld verbreitet. Der Hiasl sei zu mitternächtlicher Stunde auf Schusters Rappen von einem Trinkgelage aus dem Nachbarort nach Hause gewankt. Auf der Waldlichtung, dort wo im Sommer 1928 die Mühlfelder Holzfäller die letzten Reste des Frühjahrs-Orkans "Lysistrata" aufschichten (Ihr wisst schon: der, der den Kahlschlag direkt vor dem BW verursacht hat ), genau dort sei dem Hiasl ein kapitaler Hirsch, ein Vierzehnender gar, entgegengetreten. Und zwischen den beiden Ästen des Geweihs, da habe, von einem Strahlenkranz so hell wie die Sonne umgeben, dem Hiasl das Bildnis des Gekreuzigten entgegengeleuchtet. Und nach überstandenem Herzkrampf sei der Hiasl, so hieß es, schlagartig wieder nüchtern gewesen. Nur habe es eine ganze Weile gebraucht, bis die puddingweichen Knie wieder in der Lage gewesen seien, den Hiasl nach dieser Begebenheit nach Hause zu tragen ... Hinter der hohlen Hand raunte man sich zu, dass der Hiasl ja schon seit Jahr und Tag so ein Schnapsler war, und dass er auch schon weiße Mäus' gesehen hätt' - aber laut sagen hat sich das keiner getraut.
Dass die Geschichte überhaupt in allen Details öffentlich geworden war, war natürlich das Werk der Pfarr-Haushälterin, der alten Ratsch'n. Die hatte eine handfeste Geschichte gewittert, und während der Hiasl dem Pfarrer sein gekrampftes Herz ausschüttete, hatte sie an der Tür gelauscht ...
Nach strenger Prüfung des Ereignisses durch höhere kirchliche Stellen ließ Pfarrer Eusebius das Wunder verkündigen und strengte an, am Ort des Geschehens eine Gnadenkapelle errichten zu lassen. Darüber hinaus solle entlang des Weges, den der Hiasl nach dem nächtlichen Wunder nach Hause genommen hatte, ein Kreuzweg errichtet werden, an dem jedes Jahr am Karfreitag und zu Fronleichnam der Leiden unseres Herrn gedacht werden solle ... Einige Mühlfelder Bürger tuschelten hinter der vorgehaltenen Hand, dass der Pfarrer nur auf eine solche Gelegenheit gewartet hatte, um seinen langjährigen Herzenswunsch zu realisieren - und nun hatte er einen kapitalen und finanzkräftigen Fisch an der Angel, mit dem sich das Vorhaben auch umsetzen ließ. Zumal der Hiasl nach Verkündigung des Wunders nicht mehr aus konnte. Nur laut sagen hat sich das damals halt keiner getraut ...
Der Mühlfelder Gemeinderat stemmte sich zunächst vehement gegen das Vorhaben. Hinter der ablehnenden Haltung steckte natürlich der Loderer Toni, der als Sägewerks-Besitzer an dem Waldstück seine eigenen wirtschaftlichen Interessen hatte und dieses zu einem günstigen Preis erwerben wollte. Eine Gnadenkapelle - so ein Schmarr'n täte ihm da grad noch fehlen. Da müsste er womöglich noch Rücksicht auf des Pfarrers Schäflein nehmen - auf keinen Fall! Und so wurde das Vorhaben bei der nächsten Gemeinderatssitzung abgeschmettert. Da kannte der Mühlfelder Gemeinderat aber den Pfarrer schlecht. Der ließ am nächsten Sonntag vom der Kanzel so lautstark und bildgewaltig die Hölle, den Deifi und das Weltgericht auf seine Mühlfelder Schäfchen herabdonnern, dass denen angst und bange wurde und selbst die notorischen Kirchenschwänzer nach der Wandlung nicht klammheimlich ins nahe Wirtshaus verschwanden, sondern völlig ungewohnt an diesem Sonntag die heilige Seelenspeise zu sich nahmen anstatt des flüssigen Manna, das beim Altwirt aus dem Zapfhahn floss. Man kann sich unschwer denken, dass bei der nächsten Gemeinderatssitzung der Beschluss einstimmig wieder rückgängig gemacht wurde - bis auf die Stimme vom Loderer Toni, der sich, dumpfes Zeug in seinen Bart grollend, der Stimme enthielt und schnell das Weite suchte.
Und so wurden schließlich die Gnadenkapelle und der Kreuzweg errichtet. Die Zeche durfte - wen wundert das? - der Kohler Hiasl zahlen: den Kauf des Grundstücks, die Errichtung der Gnadenkapelle sowie die vierzehn Stationen des Kreuzwegs. Frau Gundi rang wieder mal um Fassung: sooo viel Geld zur Erlangung des Seelenheils, das war selbst einer so gottesfürchtigen Frau zu viel des Wunders. Da sie sich von der Geschichte inzwischen sowieso ihren eigenen Reim machte (ihr war das Geraune von den "weißen Mäusen" natürlich nicht verborgen geblieben), machte sie ihrem Gatten die Hölle derart heiß, dass der fortan dem Schnapsl'n völlig abschwor, nur um der Hölle auf Erden zu entgehen.
Und so kamen die Mühlfelder zu ihrem persönlichen Wallfahrtsort, zu einem Kreuzweg und zu zwei ausgewachsenen Prozessionen im Jahr. Wie es immer so ist, legte sich mit der Zeit die Aufregung um das Geschehnis, Die Dorf-Honoratioren verkrümelten sich wieder wie eh und je nach der Wandlung in Richtung irdisches Manna, und so wäre eigentlich fast wieder alles beim Alten gewesen. Wenn nicht eines Tages ...
Einmal in der Woche des Mittwochs trafen sich die Aktiven des Mühlfelder Bauerntheaters zur Probe in einem Hinterzimmer des Wirtshauses. Eines Mittwochs lag dort ein Büchlein auf dem Tisch, dessen in goldenen Lettern auf den schwarzen Einband gedruckter Titel den Theaterleuten schier die Sprache verschlug. An diesem Mittwoch war die Probe gelaufen, denn DEN Stoff musste man sich UNBEDINGT erst mal 'reinziehen. Und so erscholl aus dem Probenraum nicht, wie sonst so üblich, lautes Deklamieren, sondern schallendes, bisweilen haltloses Gelächter, und der tränenüberströmte "Regisseur", der sich vor Lachen kaum noch halten konnte, bestellte Runde um Runde Bier für die vor Lachen trockenen Kehlen. Die Theaterposse, die ihnen da von einem unbekannten Autor auf den Tisch geflattert war und die von außen so fatal an ein Gebet- und Gesangbuch erinnerte, trug den Titel: "Der Kohler Hiasl und das mitternächtliche G'sicht".
Ab dem Zeitpunkt wusste in Mühlfeld keiner mehr so genau, was der Theaterverein in seinen Proben so trieb, bis dann im Sommer der Tag der Uraufführung des bis zu dem Zeitpunkt geheim gehaltenen Stücks gekommen war. Wie nicht anders zu erwarten, verließen der Kohler Hiasl und die Kohlerin nach kurzer Zeit lautstark protestierend die Aufführung. Die restlichen Theaterbesucher schlugen sich die Schenkel vor Lachen - und es kam, wie es kommen musste: das Stück ging in die Annalen des Mühlfelder Bauerntheaters ein und wird bis auf den heutigen Tag gespielt.
Klar war, dass das Stück nur von einem ausgewiesenen Kenner der Materie verfasst sein konnte. Und da außer dem Pfarrer und dem Dorflehrer niemand derart des Schreibens mächtig war, fiel der Verdacht ziemlich schnell auf den listigen Pfarrer Eusebius. Der aber wies das entschieden von sich - und nachweisen konnte ihm auch keiner was. Jedenfalls hatte die Geschichte mit dem nächtlichen G'sicht des Kohler Hiasl eine nachhaltige Wirkung - denn außer dem Kreuzweg und der Gnadenkapelle bescherte es den Mühlfeldern eine Posse für's Bauerntheater, die bis auf den heutigen Tag gespielt wird.
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So, und damit man nach dieser etwas "mutwilligen" Geschichte das ernsthafte Bauvorhaben per Suchfunktion noch findet, geht es mit neuer Überschrift weiter