Lieber Sven,
alters- und dienstgradmäßig dürften wir uns ungefähr entsprechen; nur hab ich vielleicht eine größere Spreizung beim Alter des Nachwuchses. Und ich war nie flammender Ritter, sondern immer schon eher Bruder Tuck... aber ja: uns konnte auch ein toter Baum zum Hubschrauber werden, mit allen Hebeln, die es brauchte. Oder zum Boot. Oder...
Und es stimmt schon: Kinder von heute sind nicht die Kinder von damals. Jedenfalls nicht die in der Stadt.
Gerade in dem Schulsystem hier werden die Kinder leider arg "geführt", was sie denken dürfen und sollen. Das führt dazu, daß in der Abiturientenklasse die Schüler vor einigen Jahren ihren Lehrer fragten, der ihnen ein Gedicht vorgestellt hatte: "Und jetzt sagen Sie uns bitte, ob das schön ist." Der arme Mann war in Tränen aufgelöst, als er mir das erzählte. Und Schule ist von acht bis fünf, für einige auch noch länger in der Betreuung. Da bleibt kein Platz für Phantasie.
Dazu kommt, daß die Kinder von heute, anders als wir, viel mehr mit Bildern beschossen werden. Lesen? "Ich bin ja schon froh, daß meine Tochter wenigstens Comics liest, das ist mal was aus Papier und kein Bildschirm." 11 Jahre. Aber eben auch wie fast alle in ihrer Klasse mit dem notfalls telefonfähigen Taschentablet ausgestattet.
Ich kann mir nicht helfen; ich habe die Befürchtung, daß das politisch gewollt ist. Menschen ohne Phantasie sind lenkbar. Menschen ohne Phantasie können sich nicht vorstellen, was aus diesem oder jenem erwachsen kann. Menschen ohne Phantasie können die Verbindung nicht herstellen zwischen dem Päckchen Zündhölzer, das sie verschenken, und den Bränden in der Stadt.
Nein, Phantasie kann man nicht einfordern. Es wäre aber dringend nötig, sie zu wecken und zu stimulieren. Und gleichzeitig nicht so verbohrt schon den Kleinsten Wissen, Wissen, Wissen vermitteln zu wollen. Ich glaube, wir hatten eine Chance, die weder die vor uns noch die nach uns hatten bzw. haben: eine freie Kindheit.
Ich bin vor einem halben Jahr aufs Dorf gezogen, <400EW und noch mehrere Vollerwerbslandwirte. Hier wissen die Kinder im Dorf, was eine Kuh ist! Und die Kinder können draußen spielen, wenn sie aus der Schule kommen. Auch wenn mein Eheweib da etwas ängstlich ist - Stadtkind eben... - weil ja die schweren Traktoren durch die Straßen fahren. Aber es ist noch nie was passiert, und wird auch so schnell nicht. Und diese Kinder hier, die haben ein weißes Streitroß mit Pedalen, die haben ein Schwert aus einem Stock, und aus einem alten Reinigungs-Kleiderbügel wird ein Diadem oder eine Krone gebogen, kein Problem. Wenn die wüßten, wie gesegnet sie sind! Aber sie haben natürlich auch noch Eltern, die mal Dinge umfunktionieren und behelfsweise einsetzen, eine Dachlatte als Haubenstütze beispielsweise. Oder ein Fensterladen mit Draht zusammengehalten.
Ja, also... um aufs Thema zurückzukommen, weiter nördlich sagt man, "jeder Jeck ist anders". Und das stimmt. Ich wollte auch kein Plaidoyer dafür halten, Kindern Rundkurse für die Eisenbahn vorzuschreiben. Aber es ist eben auch nicht so, daß Kinder unbedingt alles sehen wie Erwachsene. Das wollte ich sagen. Wenn deine Kinder eine PtP-Konfiguration wollen - ist doch super. Moderne Gleissysteme ermöglichen es, das mal so und mal anders aufzubauen. Und anders als das M-Gleis der Nostalgiker verkratzt C-Gleis auch den Dielenboden nicht und verträgt erstaunliche Gleislängen, bevor der Spannungsabfall sich unangenehm bemerkbar macht.
Unser Fehler ist, allgemein gesagt, daß wir ihnen nicht nur das Material zur Verfügung stellen, sondern auch gleich sagen, was sie damit machen sollen. Wie die Schule. Aber Schule ist per se langweilig! Es ging mir eben darum, nicht unsere Vorstellungen von Modellbahn gleich auf sie zu projizieren. Weißt schon, "Was machen die Kinder? - Oh, der Anwalt ist im Kindergarten, und die Ärztin geht schon in die erste Klasse." Als Eltern oder Großeltern (das könnte bei mir noch in diesem Jahrzehnt anstehen) können wir sie teilnehmen lassen an unserem Hobby. Vielleicht gefällt es ihnen. Vielleicht auch nicht. Meine Töchter lieben es, mit Oma im Gemüsegarten Bohnen zu zupfen und zu ernten, und auch, sie nachher in der Küche zu putzen. Aber essen würden sie sie ums Verrecken nicht. Aber: "wir machen dann im Frühjahr einen Gemüsegarten, ja? Damit Opa was zu tun hat, wenn er kommt." Und ich denk nur: so, so.
Wenn wir natürlich auch ständig auf dem Bildschirm herumdapsen oder hineinstarren, ja wie werfen wir es ihnen dann vor? Sie tun doch nur, was sie von uns sehen. Wie in der Werbung für Verkehrssicherheit, die hier im TV lief, wo das Kind zum Hasen sagt: "ich muß grad das Handy weglegen, da vorn steht die Polizei." Und die Mutter macht ein dummes Gesicht.
Daß es natürlich ein ganz schweres Ding ist, einen Esel zu tränken, der nicht durstig ist, ist ein weiteres Thema. Und wenn schon in den Familien keine Verbindung vorhanden ist, wie will man dann die Kinder locken. Aber das sehen wir auch im "richtigen" Leben, weitab der Modellbahn. Da ist Nachwuchsförderung (und ich lese Förderung da schon im bergmännischen Sinn!) ein ganz schwieriges Thema. Aber wem sag ich das.