Hallo Wilhelm,
ich habe meine Lokführerausbildung bei der damaligen DB Cargo gemacht und mußte die Fahrberechtigung für BR 212 und 216 erwerben. Erstere ist angenehm zu fahren und machte mir bei vielen Arbeitszugleistungen Freude, die andere war der letzte Saubock: chaotisch-umständliche Bedienung, total verbauter Maschinenraum, unbequemer Führerplatz, vor Öl und Dreck triefend - einfach bääh. Zum Glück vorbei, ich fahre seit geraumer Zeit "privat" im Nahverkehr.
Vorweg: zur 210/Gasturbine habe ich keine Unterlagen.
Zitat von Wilhelm Benitz
Hallo Forumsteilnehmer,
ich habe mal wieder eine Frage an die Diesellok-Spezialisten [...]:
Können folgende Loks der 216-Familie: 210, 215, 216, 218
untereinander in Doppeltraktion verkehren? Ich meine damit echte Doppeltraktion mit Steuerung beider Loks von einem Führerstand aus.
Die Frage ist eigentlich recht einfach zu beantworten: wenn (!) die betreffenden Loks mit Einrichtungen für Doppeltraktion=DT (aber wirklich auch nur dann!!) ausgerüstet sind, können die BR 211, 212, 213, 215, 216, 217 und 218 in jeder beliebigen Mischung als DT fahren.
Die Betonung des Wortes "wenn" liegt daran, daß bei den BR 211, 212 und 216 nicht alle Loks für DT ausgerüstet waren, sondern jeweils nur einige 10 Stück pro Baulos. Von den übrigen BR habe ich keine Unterlagen, da diese Maschinen nicht zur DB Cargo gehörten und deshalb auch keine Leute mehr dafür ausgebildet wurden. Vielleicht finden sich Informationen in den verschiedenen Taschenlexika von transpress oder Geramond.
Gemeint ist ferner die konventionelle DT mit 36pol. Steuerkabel, also die Technik der 60er Jahre. Dazu ein Nachsatz bei der 218 weiter unten.
Außerdem gibt es weder "echte" noch "gefälschte" DT, sondern nur "Doppeltraktion". Alles Andere heißt auch anders! Am Ende steht ein kleines Lexikon.
Bei den Diesel-Tfz der 60er gehen die Möglichkeiten sogar noch weiter: bis zu 4 Loks können von einem Führertisch aus gesteuert werden. Dann handelt es sich um "Mehrfachtraktion".
Der Grund dafür ist die bei allen BR eingesetzte elektropneumatische Steuerungstechnik, außerdem stammen die Maschinen größtenteils von MTU (die anfängliche Dreiteilung Maybach/Benz/MAN hielt ja nicht lange, sie gingen in der Fusion auf). Zwar haben die Motoren verschiedene Zylinderzahlen und deshalb angepaßte Füllungsregler, ABER: das 16-Stellungs-Gerät ist in allen BR absolut baugleich.
Dieses 16-Stellungs-Gerät erhält vom Fahrschalter-Handrad elektrische Impulse. Magnetventile geben daraufhin Druckluft für Stellzylinder frei, die den Füllungsregler betätigen und damit die Kraftstoffmenge dosieren.
Durch diesen Kniff konnten sich verschiedene BR "verstehen", obwohl sie anders aussahen oder verschiedene Motorengrößen hatten. Entscheidend waren die "inneren Werte" unter dem Blech.
Zitat von Wilhelm Benitz
So habe ich beispielsweise gehört, daß bei einer Doppeltraktion in den Loks auch entsprechende Anzeigeinstrumente vorhanden sein müssen, die die wichtigsten technischen Funktionen der "nicht besetzten" Lok für den Lokführer der führenden Lok ersichtlich machen.
Bingo! Ohne zusätzliche Ausrüstung geht es nicht, weder bei Diesel- noch bei Elloks.
Kennzeichnend für DT/Mehrfachtraktion ist ja schließlich gerade die Personaleinsparung, weil EIN Lokführer zwei oder mehrere Maschinen alleine und gleichzeitig bedienen kann. Deshalb ist DT bei Dampfloks auch absolut unmöglich - ein Meister alleine kann niemals zwei Regler in einem Abstand von 25 Metern voneinander gleichzeitig öffnen oder schließen. Soooooo lange Arme hat keiner! Ich mache mir jedesmal in die Bux vor Lachen, wenn Schwätzer mit aufgeschnappten Begriffen, deren Bedeutung sie nicht kennen, um sich werfen .
Dasselbe gilt, wenn an einem Zug zwei Ellok verschiedener BR hängen. Baureihenübergreifende DT-Fähigkeit gab es nur bei Dieselloks! Wenn die Ellok-BR überhaupt DT-fähig sind, dann nur mit einer Lok derselben BR, jedoch NIE mit anderen. In der Drehstromwelt sieht das mittlerweile nicht mehr ganz so streng aus, aber die eigentlich gewünschte Steuerfähigkeit zwischen allen Drehstrom-BR ist bis heute noch nicht möglich (Kleinkrieg Siemens-Adtranz).
Die Krönung sind Bilder, auf denen eine geschleppte Lok mit deutlich sichtbar gesenkten Stromabnehmern im Zug mitläuft, und in der Bildbeschreibung "Doppeltraktion" steht. Gesehen vor Jahren im ROCO-Report . Da schmeiß' ich mich weg.
Dann gibt es noch den Unterschied zwischen 1.) Wendezugsteuerung und 2.) Doppeltraktion:
1.) die Lok wird vom führenden Steuerwagen aus gesteuert.
Also:
- vom Stw zum Tfz ==> müssen Steuerleitungen für Schaltbefehle laufen
- vom Tfz zum Stw <== müssen Meldeleitungen für die Anzeigen im Stw laufen
Daraus folgt:
- ein wendezugfähiges Tfz kann nur Schaltbefehle empfangen, NICHT aber senden!
- ein wendezugfähiges Tfz kann nur Meldungen senden, NICHT aber empfangen (keine Anzeigen im Führertisch!)!
Fazit: ein wendezugfähiges Tfz kann nur Wendezugbetrieb - SONST NICHTS !
Beispiel: Ellok BR 110
2.) ein Tfz wird vom Führertisch eines anderen Tfz aus gesteuert.
Jedes Tfz kann entweder führend oder geführt sein, also muß jedes Tfz Schaltbefehle senden UND empfangen sowie Meldungen senden UND empfangen können.
Fazit: bei DT-Fähigkeit hat jedes Tfz die zusätzliche technische Ausrüstung im Maschinenraum (Steuerung) und zusätzliche Anzeigen (Instrumente, Leuchtmelder) im Führertisch. DT-fähige Tfz sind stets auch wendezugfähig (aber niemals umgekehrt!!).
Diese beiden Begriffe bitte genau auseinanderhalten!
Zitat von Wilhelm Benitz
Wie sich immer deutlicher herauskristallisiert, kann man als doch wohl nicht so einfach "drauflos-mischen" bei den Diesel-Doppeltraktionen. Eure Stellungnahmen sind für mich sehr interessant. Besonders interessant, daß selbst bei einer Baureihe (21 nicht alles so einfach zusammenpaßt (siehe die Antwort von Hp2).
Das Wort DT bitte sehr sparsam verwenden. Nicht alles, was ähnlich aussieht, ist auch eine - siehe oben, siehe Lexikon.
Zur 218: diese BR ist die leistungsstärkste und stand/steht im Reisezugdienst. Hier mußte man mit der Zeit etwas modernisieren und baute deshalb Techniken der Neuzeit ein, wie Hp2 es beschrieb. Umgebaute Tfz müssen natürlich entsprechend eingesetzt werden; ZWS/ZDS und konventionelle DT/Wendezugsteuerung passen technisch nicht zusammen.
kleines Lexikon:
konventionelle DT: elektropneumatische Steuerung mit einzelner Ader (insg. 36) für jede/n Befehl/Meldung
ZWS/ZDS: computergesteuert; Daten laufen über ein Kabelpaar (= 2 Adern) der UIC-Leitung; zeitmultiplex = die verschiedenen Befehle und Meldungen werden nacheinander übertragen
Mehrfachtraktion: mehrere Tfz werden von einem Führertisch aus gesteuert
Doppeltraktion: zwei Tfz werden von einem Führertisch aus gesteuert
Wendezugbetrieb: das Tfz wird von einem Stw aus gesteuert
Vorspann: zwei oder mehrere Tfz erbringen Traktionsleistung und befördern einen Zug gemeinsam, ABER jedes Tfz wird von seinem eigenen Personal bedient (insbesondere bei Dampflok!)
Gastlok (GA): nicht arbeitendes, kaltes/abgebügeltes/ausgeschaltetes Tfz wird im Zug befördert, d.h. einfach nur transportiert - sonst nichts
Lz: Lokomotivzug = alleinfahrende Lok oder ein Verband aus einem arbeitenden Tfz mit bis zu 10 geschleppten Tfz - einfach nur eine Überführungsfahrt von A nach B, weil dort Loks gebraucht werden