Love me, Tender!
Zu einer vertrauten Dampfloksilhouette gehört der Tendertyp, den wir typischerweise mit dieser Baureihe assoziieren: Hinter eine 03 oder eine 44er gehört ein 2'2'T34, hinter eine 42er ein Wannentender usw. usw. Dass dem nicht immer so ist, möchte ich in meinem heutigen Beitrag zeigen. Dem Thema geschuldet ist, dass ich einige der folgenden Illustrationen schon einmal in anderem Kontext eingestellt habe; von daher bitte ich, die ein oder andere "Doublette" zu entschuldigen.
Für Verwunderung dürfte sorgen wenn ich schreibe, ich möchte mich in diesem Beitrag lediglich auf die Baureihe 01 beschränken. Die 01, unsere Schnellzugkönigin? Die hatte doch nie etwas anderes am Haken als 2'2'T32, 2'2'T34, na, vielleicht noch den Kurztender 2'2T30 (wir entsinnen uns der Rheiner 01 124 und 133 die mit diesem gekuppelt waren, um auf den kürzeren holländischen Scheiben gewendet werden zu können). Und ja, da wäre noch der 2'2'T34St der 01 226, Ersatzlok für den Henschel-Wegmann-Zug:
Originalaufnahme mit freundlicher Genehmigung von Bernd Teubner
Aber sonst?
Einmal mehr gilt, dass es anscheinend nichts gibt, was es nicht gibt. Zunächst gehen wir weit zurück in die Geschichte; in einen sehr dunklen Part derselben: Die unmittelbare Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs nämlich.
1945 bildete die Sowjetische Militäradministration der SBZ aus requirierten Reichsbahnlokomotiven die sogenannten "Kolonnen", die für den Transport von Demontage-, Reparations-, Trophäen- und Beutezügen, den Wirtschaftszügen für die Besatzungsmacht und für den zivilen Bedarf der Sowjetunion zuständig waren. Hinzu kamen sogenannte „Exportzüge“, die Züge der Geheimoperation "Osoawiachim", Truppentransporte der Roten Armee an die japanische Front, an der noch immer gekämpft wurde, sowie die "roten Karawanen" - Züge mit in deutsche Kriegsgefangenschaft geratenen Rotarmisten, die in der Sowjetunion ein oft gnadenloses Schicksal zu erwarten hatten. Vor all' dem Leid und Elend rund um diese Zeit und ihre Züge Interesse an der Farbgebung von Dampflokomotiven zu zeigen - man möchte sich fast dafür schämen.
Wenn wir diese Skrupel aber abstreifen, so gestatten wir uns einen Blick auf die Maschinen der "Kolonne 42". Da man auch für hochstehende Fahrgäste einen angenehmen Reisezugverkehr von Berlin nach Brest anbieten wollte, schuf man den "Blauen Zug". Passend zu ihm, waren die Lokomotiven der Kolonne 42 blau gestrichen. Um die Fahrt für Personale - insbesondere unter winterlichen Bedingungen - halbwegs erträglich zu gestalten, waren die Lokomotiven mit einem geschlossenen Führerhaus zu versehen. Diesem Befehl der sowjetischen Militäradministration kam man entweder nach, indem man die bei der Kolonne 42 laufenden 01er mit geschlossenen Führerhäusern austattete - für die 01 005 ist ein solches Provisorium fotografisch belegt - , oder sie mit Tendern der Bauart 2'2'T26 kuppelte. Ein solches Zirkuspferd sah dann - die 01 117 wurde in diesem Zustand bildlich verewigt - in etwa so aus:
Originalaufnahme mit freundlicher Genehmigung von Frits Osterthun
Wer sich näher für dieses hochinteressante Kapitel der "Kolonnenloks" interessiert, dem sei mein Artikel "Kolonne" ans Herz gelegt. Was wir aber mitnehmen ist die Erkenntnis, dass es die Kombination 01 plus 2'2'T26 gegeben hat - und das sogar in blau!
Gleiche Zeit, 1200 Kilometer westlich von Brest. Auch in Würzburg hat der Zweite Weltkrieg für Not und Zerstörung gesorgt; von einem geregelten Eisenbahnbetrieb ist - man denke nur an den verheerenden Luftangriff vom 16.03.1945 mit rund 5000 Toten und den bei der Operation Clarion am 22/23.03.45, sechs Tage später, endgültig zerbombten Hauptbahnhof - keine Rede. Man fährt mit dem, was da ist oder was man zur Verfügung hat.
So kommt es, dass man kurzerhand am 11.05.1949 nach dessen L2-Zwischenausbesserung den Tender der 45 018 der Würzburger 01 042 beistellt. Dieses einmalige Intermezzo - 01.0 plus 2'3T38 - dauerte bis Anfang 1950; spätestens ab 16.05.50 fuhr die 01 042 wieder mit ihrem angestammten 2'2'T34 durch die Gegend. Ausgesehen hat das Gespann so:
Originalaufnahme mit freundlicher Genehmigung von Frits Osterthun
Die Kombination der großen Bleche Bauart Grunewald in Kombination mit der - in Abhebung zum 2'2'T34 - länger abfallenden "Rückenlinie" verleiht der "Langlauf-01" eine ganz eigene, attraktive Optik. Glücklicherweise ist dieses Gespann nicht nur durch Aufzeichnungen, sondern sogar durch den Altmeister Carl Bellingrodt persönlich fotografisch dokumentiert. Der Ausdruck "Langlauf-01" führt aber völlig in die Irre: Natürlich gab es für die 01 042 keinen eigenen "Langlauf-Umlaufplan", sie fuhr in den völlig normalen Umlaufplänen des BW Würzburg mit. Wobei die aber mit Bespannungsleistungen wie München - Mainz oder München - Wiesbaden, beide mit mehr als 450km Distanz, durchaus anspruchsvoll waren (die Langlaufrekordhalter waren übrigens die 01.0 des BW Treuchtlingen mit 759Kilometern von München-Trudering nach Aachen, siehe hier). Aber man kann sich gut vorstellen, dass die Personale - insbesondere im Winter, wenn zur Traktions- noch die Heizleistung dazu kam - manchmal ganz glücklich gewesen sein dürften bei Leistungen, bei denen man mit dem 2'2'T34 "auf den letzten Tropfen" fuhr, noch etwas Wasser im Tank gehabt zu haben. Übrigens: Mit diesem einjährigen Fünfachstender-Intermezzo ist die Geschichte der 01 042 noch lange nicht zu Ende erzählt. Denn sie wird wenige Jahre später zur MV-01 werden, die wiederum - aufgrund ihrer anfänglichen Nichtbewährung - dafür sorgt, dass es die Würzburger 45er zu Schnellzugehren bringen. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte. Was mich bis heute wundert ist, dass es diese Lok noch nicht bei MHI als Modell in die HO-Wirklichkeit geschafft hat: Man nehme eine 01 und den Tender einer 45er, ändere die Betriebsnummer - und fertig (Ja. Mir sind die Bauartunterschiede in den unterschiedlichen Lieferserien der Baureihe 01 durchaus geläufig. Nun seid nicht so pingelig!). Die Schweinfurter 44 1143 hat es ja auch auf die Modellbahnanlagen geschafft, von daher...?
Zeitsprung. Wenn die Mitte des 20. Jahrhunderts der Höhepunkt des Dampflokzeitalters war - "Peak Steam" sozusagen, dann nähern wir uns jetzt mit Siebenmeilenstiefeln dem Niedergang. Manch einem stolzen Dampfer, der noch vor wenigen Jahren auf Minutenjagd gegangen war, blieb jetzt nur noch das schäbige Heizlokdasein. So wie z.B. der 52 1919, deren Vita der von mir sehr geschätzte Steffen Lüdecke in diesem Beitrag hervorragend dokumentiert hat. Wer hätte das gedacht? Eine Kondens-52er war die einzige 52er, die es doch in die Computernummer-Ära geschafft hat, und dann auch noch als einzige Bundesbahn Lokomotive ("052 1919") mit vierstelliger Ordnungsnummer! Manchmal schlägt die Eisenbahnhistorie schon krude Haken (und die Bahnbürokratie auch).
Wie auch hier: Auch der 01 227 blieb zu ihrem Lebensende nur der Dienst als Dampfkocher. Und, als wäre der Demütigung nicht genug, stellte man ihr im AW Göttingen, wo sie vom 19.01.1973 bis Dezember 1974 für Heißwasser und Heizdampf zu sorgen hatte, den 3T16,5 der 57 2070 anstatt des angestammten 2'2'T34 als Vorratswägelchen bei. So vergeht der Ruhm der Welt...
Retusche nach einem Originalfoto mit freundlicher Genehmigung der Fa. Roco/ Modelleisenbahn Holding GmbH
Nun gut, auf Strecke ging dieses Gespann natürlich nie - aber die Lok stand unter Dampf, also alles völlig vorbildgerecht...!
Machen wir den Sack in Sachen "Tenderanomalien bei der Baureihe 01" zu, indem wir uns in einem weiteren Zeitsprung über Dekaden in die Neuzeit begeben. Einige der stolzen Pazifiks hatten das Glück zu überleben. So die 01 1075, als 01.10 der Schwesterbaureihe der 01.0 - sozusagen ihre "große Schwester" - zugehörig. Zuletzt im Bw Rheine in Betrieb gewesen, war die ehemalige Stromlinienlok zum 08.07.1975 ausgemustert worden und hatte, erstanden von Herrn Ir. W. E. Hendrikse aus Delft, bei der SSN (Stoom Stichting Nederland) in Rotterdam eine neue Heimat gefunden. Eine äußerst rührige Vereinigung übrigens, die sich in Sachen betriebsfähiger Erhaltung deutscher Dampflokomotiven wahrlich einen Namen gemacht hat, und vor deren Verdiensten ich einfach nur den Hut ziehe.
Wie auch immer: Als die Inbetriebnahme des Dreischlägers möglich wurde, entschied man sich in den Niederlanden für den Rückbau auf Kohlefeuerung (dass man ihr dennoch das "Ölfass"-Blasrohr der ölgefeuerten Maschinen ließ anstatt dieses zu entfernen und sie damit auch optisch den kohlegefeuerten Maschinen der Reihe 011 anzugleichen, bedauere ich - bei allergrößtem Respekt vor dem, was die Holländer leisten - jedes Mal, wenn ich die Lok sehe, sehr); eine Feuerungsart, die die 01 1075 seit ihrer Ablieferung bis 1957 besessen hatte. Unglücklicherweise war nach dem - zusammen mit der Hauptuntersuchung von Juli 1991 bis März 1992 erfolgten - Rückbau im AW Meiningen zwar die Lok fertig, nicht aber der Vorratswagen. So bewies man, um nicht erst die Fertigstellung des Tenders abwarten zu müssen, in Südthüringen ein gerüttelt Maß an Flexibilität und kuppelte die "neue" Kohlelok mit dem 2'2'T34 einer 44er, sodass sich den Eisenbahnfreunden an der Strecke folgendes Bild bot:
Retusche nach einem Originalfoto mit freundlicher Genehmigung der Fa. Roco/ Modelleisenbahn Holding GmbH
So war die 01 1075 zwar nur ein einziges Mal unterwegs - aber, q.e.d.: Die Kombination 01.10 plus 2'2'T34 hat es im Original sehr wohl gegeben, und ist damit auf der Modellbahn absolut vorbildgerecht!
Damit möchte ich die kleine Tenderkunde zur 01 beenden, die vielleicht ein bisschen als Argumentationshilfe dienen mag, falls irgend jemand Lust hat, eine der oben genannten Kombination zusammenzustellen und aus den Fenstern des selbst ernannten Modellbahn-Zentralamtes wieder einmal die "Das hat's nie gegeben!"-Rufe erschallen. Und wenn schon. Hier sind wir ohnehin bei "What if" - und da gilt nunmal, erlaubt ist, was gefällt!
Grüße!
Christian