Heute geht es darum, wie man mit ganz, ganz wenig Farbe den Charakter einer Lokomotive verändern, ja ihr sogar mit wenigen Pinselstrichen eine eigene Identität geben kann. Es geht um Lokomotiven, die Namen tragen oder trugen – wobei ich nicht die Fälle meine, bei denen dies seit Jahrzehnten Tradition war oder ist (wie in Großbritannien), Spitznamen für bestimmte Baureihen (wie Ludmilla und Co) oder die Fälle, wo Lokomotiven im Zuge eines hoheitlichen Aktes der Obrigkeit Namen verliehen bekamen.
Was in viel höherem Maße auf meine Sympathien stößt ist dieser liebevoll-anarchische Akt, in dem Personale aus Zuneigung ihren – im doppelten Wortsinne – „Gefährten“ gegenüber diese eigenmächtig und ohne Grünes Licht von oben taufen und mit diesen namenszuggeschmückt durch die Lande rollen; frei nach dem Motto: Mögen die Herren der Direktion doch toben – aber ich liebe meine Lok, und das soll jeder sehen!
Dies gab es sicher zu allen Zeiten, doch ich habe mir einmal drei Beispiele eigenmächtiger Taufhandlungen – also gewissermaßen „baptism from the bottom“ – herausgesucht, von denen mir zwei bis heute Rätsel aufgeben:
Da hätten wir zunächst die 120 004. Wie vielen bekannt sein dürfte, verweilte die Drehstrom-Prototyplokomotive vom 09. – 11.03.1983 zu Testfahrten bei der BLS. Diese Fahrten vor spektakulärer Kulisse waren Gegenstand vielfältiger Berichterstattung in der Eisenbahnpresse, so z.B. auch im Eisenbahn-Kurier 5/ 83 – und jeder, der genauer hinsah, konnte entdecken, dass links des Aufstieges von Führerstand 2 deutlich der Schriftzug „Hamster“ zu sehen war. Ebenso schnell wie er auf der Lok erschien verschwand er wohl auch wieder – mir ist lediglich eine einzige Aufnahme dieser vielabgelichteten Lokomotive bekannt, die sie mit diesem Schriftzug auf bundesdeutschen Gleisen zeigt. Aber wie kommt die Drehstromkönigin dazu sich ausgerechnet nach einem weder durch Kraft noch Geschwindigkeit herausragenden Hausnagetier benennen lassen zu müssen? Wer hat das veranlasst? Von wann bis wann trug sie den Schriftzug? Nur am Führerstand 2 oder auch am anderen Lokende? Und wer hat dafür gesorgt, dass das Ding wieder runterkommt? Und, vor allen Dingen: Wo bleibt die limitierte Sonderserie aus Göppingen – oder hab’ ich was verpasst?
Dies war beim nächsten Fall anders: 1995 erschien unter der Produktnummer 3750 im Märklin-Programm ein ICE-Set mit den Triebköpfen 401 073 und 573 – und dem Schriftzug „Elisabeth“ am Führerhaus. Und, in der Tat, eine Zeit lang (von wann bis wann?) fuhr diese Garnitur – einer der schweizfähigen ICEs – mit diesem Schriftzug am Führerstand durch die Gegend. Aber warum? Wer hatte das veranlasst? Wer ist überhaupt „Elisabeth“? Dass der Zug bei einem Deutschlandbesuch von Königin Elizabeth II. von England der Monarchin zur Verfügung gestanden hätte - das hätte dann zu ihrem dritten Staatsbesuch in Deutschland im Oktober 1992 sein müssen - wäre mir zumindest neu (und so ein Schriftzug allein auch nicht gerade standesgemäß). Und interessanterweise wurde die Packung 3750 von Märklin mit der Formulierung beworben, dies sei ein Modell des ersten getauften ICEs. Wusste da Märklin mehr als wir Sterbliche? Und was sollte da noch kommen? Gabi, Annette, Susanne, Schantalle? Wir wissen es nicht und werden es wohl auch nie erfahren. Es sei denn, ein Wissender erbarmt sich und teilt uns seine Kenntnisse über Elizabethens Werdung mit. Gerüchtehalber wüssten Stuttgarter Lokführerkreise mehr. Nun, grau, mein Freund, ist alle Theorie...
Im nächsten und letzten Fall war es ebenfalls wohl nicht nur die Liebe zur Lok, sondern die Verehrung für eine junge Dame, die ein Personal zum Pinsel greifen ließ: Im Sommer 1956 stürmte eine junge Dame von 25 Jahren mit Liedern wie „Ganz Paris träumt von der Liebe“ und „Komm ein bisschen mit nach Italien“ die Hitparaden (Ja! Nicht „Charts“!) nicht nur Deutschlands, sondern auch die in Österreich, der Schweiz und Italien: Caterina Valente. Dass das kosmopolitische Multitalent da schon mit Liedern wie „The Breeze and I“ seit Wochen in den US-Charts vertreten war, 1955 das deutsche Jazzfestival in Frankfurt am Main erfolgreich aufgemischt hatte und regelmäßig im "Salon du Jazz" in Paris auftrat war den Vielen, die sie lediglich als Schlagersängerin wahrnahmen, oft nicht geläufig.
Als jedenfalls der bekannte Eisenbahnfotograf Helmut Fröhlich im Juli 1956 am Semmering stand um den dortigen Dampflokbetrieb fotografisch zu dokumentieren dürfte er nicht schlecht gestaunt haben, als die 42.2567 (Floridsdorf 17570/ 45) um die Kurve kam – mit dem Namenszug „Caterina Valente“ auf dem Windleitblech. Liebe zur Lok und Zuneigung zur Virtuosin des Mürzzuschlager Personals vereinen sich in diesem Schrift gewordenen Bekenntnis aus wenigen Buchstaben, und doch, die Geschichte endet tragisch. Denn obwohl erst am 29.01.1945 an die damalige RBD Villach abgeliefert, wurde die damals weiß Gott noch nicht alte „Caterina“ schon am 20.01.1963 aufs Abstellgleis abgeschoben. Witzigerweise – oder hatten die Verantwortlichen in Österreich schon vorausschauend an eine limitierte Sonderserie gedacht? – findet sich exakt diese 42.2567 bei Liliput im Programm. So musste ich diesmal nur wenig Hand an die Originalaufnahme anlegen, die netterweise wieder Frits Osterthun zur Verfügung gestellt hat, um Euch die „Caterina Valente“ vorstellen zu können, wie sie damals war:
Bitte nagelt mich nicht fest, ob der Schriftzug auf beiden Windleitblechen zu finden war, fragt mich nicht ob ich mit „Mistral“ den exakt richtigen Schrifttyp erwischt habe – das alles ist sekundär. Wichtig ist, denke ich, dass auch die Anekdoten von „Elisabeth“, vom „Hamster“ und von „Caterina“ es wert sind, als „Eisenbahngeschichte des kleinen Mannes“ - gerne auch im Modell - festgehalten und weitergegeben zu werden.
Zwei Fragen bleiben für mich noch offen: Zum einen, ob wir noch den „Hamster“ und „Caterina Valente“ als limitierte Sonderserien aus Göppingen und Wien erwarten dürfen. Aber, was mich viel mehr interessiert: Ob „Elisabeth“ – wer immer sie war oder ist – und Caterina Valente jemals erfahren haben, welche große Wertschätzung ihnen da zuteil geworden ist...
Grüße!
Christian