Vor vielen Jahren gab es einen Hirtenjungen, der hieß André. André hütete auf der großen Schafweide zusammen mit mehreren anderen Hirten die Schafe des Bauern. Einer der Hirten war der alte Simon, sein Großvater. Der war zwar alt aber auch schon ziemlich weise.
Auf einen Stock gestützt, den Blick zu den Sternen erhoben, stand der alte Simon immer wieder auf dem Feld. „Er wird kommen“ sagte er.
„Simon, wann wird er kommen?“ fragte ihn dann sein Enkel.
„Bald, André, sehr bald!“
Wenn sie das hörten lachten die anderen Hirten nur.
„Bald!“ spotteten sie. „Das sagst du nun seit Jahren! Das wird André nicht mehr erleben“
Aber der alte Simon kümmerte sich nicht um ihren Spott. Nur wenn er sah, dass in den Augen seines Enkels immer wieder Zweifel aufflackerte, betrübte ihn das. Wenn er starb, wer sollte dann die Weissagungen der Propheten weitertragen? Wenn er doch bald käme. Sein Herz war voller Erwartung. „Wird er eine goldene Krone tragen, Simon?“ unterbrach der Enkel seine Gedanken. „Ja, André!“ „Und einen purpurnen Mantel?“ „Ja, natürlich!“ André war zufrieden. Jedoch Simon war bedrückt. Ach, warum versprach er ihm, was er selbst nicht glaubte! Wie würde er denn kommen? Auf Wolken aus dem Himmel? Aus der Ewigkeit? Als Kind? Arm oder reich? Bestimmt ohne Krone, ohne Schwert, ohne Purpurmantel – und doch mächtiger als alle andern Könige. Wie konnte er das seinem Enkel begreiflich machen?
André hingegen stand am Waldrand und spielte auf seiner Klarinette. Dieses schöne Instrument war sein ein und Alles. Der Alte lauschte. Er spielte von mal zu mal schöner, reiner. Der Junge übte am Morgen und am Abend, Tag für Tag. Wenn es stimmte, was der Großvater sagte, so dachte er, so musste er bereit sein, wenn der König kam. Da war keine Zeit mehr zum Üben. Keiner spielte so wie er. Er würde in seinem Sonntagsstaat dem König mit seinem Instrument seine Referenz erweisen.
Und der König würde sein Lied nicht überhören. Nein, er würde ihn, den kleinen André für sein Spiel beschenken. Mit Gold, mit Silber! Er würde ihn reich machen, und die anderen würden staunen.
Eines Nachts standen die Sterne am Himmel, nach denen der Großvater Ausschau gehalten hatte. Die Sterne leuchteten heller als sonst. Über dem Wald und der Stadt Bethlehem stand ein großer Stern.
Und dann erschienen Engel und sagten: „Fürchtet euch nicht! Euch ist heute der Retter geboren!“ André lief voraus, dem Licht entgegen. In seinem Rucksack war seine Klarinette und sein Sonntagsgewand. Er lief so schnell er konnte.
Es war nicht schwierig zu finden, eine große Menschenmenge hatte sich versammelt und es herrschte eine feierliche Atmosphäre. Selbst der Pfarrer und andere Leute aus der Kirche waren da.
In der Mitte stand eine Futterkrippe und darin lag ein Baby. Daneben seine Eltern. Arm, bitterarm. Daneben stand ein Ochse und wärmte das Kind mit seinem Atem. Da stand André nun und starrte auf das Kind. Die andern Hirten machten dem Kind ihre Verehrung. Der Großvater war außer sich vor Freude.
Dieses Kind, der König, von dem der alte Simon immer sprach? Nein, nein und nochmals nein. Das konnte nur ein Irrtum sein. Wie konnten die anderen Leute so einen Quatsch glauben. Da hatte sie jemand kräftig hinters Licht geführt. Nie, nie würde er hier sein Lied spielen können.
André drehte sich um, richtig enttäuscht, von Trotz erfüllt. Er trat in die Nacht hinaus. Er sah keinen offenen Himmel und keine Engel. Sein Herz war richtig schwer und er fühlte sich irgendwie betrogen und ganz unglücklich. Traurig wandte er sich ab und lief gesenkten Hauptes zurück Richtung Weide
Doch dann hörte er plötzlich das Kind weinen. Er wollte es nicht hören und lief weiter. Er hielt sich die Ohren zu und lief weiter. Doch das Weinen verfolgte ihn, ging ihm zu Herzen, zog ihn zurück zur Krippe.
Da stand er zum zweiten Mal. Er sah, wie die jungen Eltern und auch die Hirten erschrocken das weinende Kind zu trösten versuchten. Vergeblich! Was hatte es nur? Da konnte er nicht anders. Plötzlich hatte er seine sonntäglichen Kleider an und sein Klarinette in der Hand und fing an zu spielen. Zuerst ganz aus der Ferne und ganz leise.
Dann immer inniger, die Leute machten ihm Platz und plötzlich stand er vor der Krippe.
Er spielte, wie er wohl noch nie gespielt hatte und auch vielleicht nie wieder spielen würde. Ein Geschehen, nur zwischen ihm, dem Kind und seinen Eltern. Längst hatte das Kind aufgehört zu weinen.
Ihm war es, als wäre er ganz alleine hier. Das Kind schaute ihn nur an und lächelte. André spielte sein Lied und noch eines und dann noch etwas, was er noch nie gespielt hatte.
Als plötzlich auf der Bühne die Band anfing mitzuspielen und die Leute Einer nach dem Anderen mitsangen, da kam er zurück in die Gegenwart. Wo war er?
Ja doch, am alten Güterbahnhof. Er konnte sich nicht lösen vom Lächeln des Kindes. Er war so froh und spürte, dass ihn das Lächeln reicher machte, als es Gold und Silber könnten.
(nach einer Geschichte von Max Bollinger)
Frohe Weihnachten!
Ja, das wünsche ich auch hier allerseits, ein paar ruhige Tage zum Herunterkommen und Luft holen im Kreis eurer Lieben, und gleichzeitig sage ich ein herzliches Danke für ein schönes Jahr hier im Forum, mit anregenden Gesprächen, schönen Bildern und einem guten Miteinander.
Gerhard (und Toni )