Hallo zusammen!
Die spannende Frage des "What if?", des Leitmotiv dieses Threads, bezieht sich ja nicht nur auf die Bahnen der Gegenwart. Auch andere Epochen bieten diesbezügliche äußerst interessante Fragestellungen. Da wäre z.B. in der Epoche I die Maffei'sche S3/6, bei der nur wenig dazu gefehlt hat dass sie von Hartmann in Chemnitz in Lizenz gebauten worden wäre. Doch eine S3/6 im sächsischen Farbkleid unterscheidet sich optisch derart minimal von der bayerischen Variante, dass sich der Aufwand sie digital "zum Leben zu erwecken" nicht lohnt. Das sei Märklin für sein zigtes 3093-Derivat als "Länderbahn-Aprilscherzlok" überlassen...
Oder die E10 der Deutschen Reichsbahn der DDR. Bekanntlich war die DR Ost Ende der 50er Jahre stark an einem Lizenzbau der E10 der DB interessiert, was sich, nach bereits weit gediehenen Verhandlungen, aus politischen Gründen zerschlug. Doch hätte die sich von der E10 West wahrscheinlich nur durch Beschriftung und rote Drehgestellblenden unterschieden; derart marginale Abweichungen, dass ich sie hier gar nicht vorzustellen wage. Und wie hätten wohl VT07.5 und VT08.5 in TEE-Farben - die sie ja eigentlich hätten tragen müssen da bekanntlich beide Reihen in TEE-Diensten gelaufen waren - ausgesehen? Der ex-DR-Regierungszug 183 252 und der "General" VT08 801 zeigen es; auch hier muss man nicht virtuell schöpferisch tätig werden.
Aber bleiben wir ruhig in dieser Zeit. Werfen wir doch einmal einen Blick zurück in die Epoche 3a - in die Zeit der noch jungen Bundesbahn - und widmen uns der Frage, wie diese hätte auch aussehen können. Und manchmal, man glaubt es kaum, hätte wirklich nicht viel gefehlt.
Da hätten wir zunächst diese Maschine:
Originalbild mit freundlicher Genehmigung von Frits Osterthun
Eine blaue 05 003 gibt es auch von Micro-Metakit; wobei mir weder ein Bild bekannt ist noch ich mir eine Vita vorzustellen vermag, die den Reichsbahn-Aluminiumhohlgussadler an dieser Maschine zu erklären vermag. Sei's drum. "Meine" Vita dieser Lok ist diese:
Der Antrag der Reichsbahn vom Sommer 1944, die gescheiterte Kohlenstaublok in eine stückkohlegefeuerte Schnellzugdampflok der Regelbauart umzubauen, wird als nicht kriegswichtig abgelehnt. Als die Bundesbahn Mitte der 50er Jahre anfängt sich für die Ölfeuerungstechnik zu interessieren und sich nach einem geeigneten Versuchsträger umsieht, fällt die Wahl nicht etwa auf die - allseits bekannte - 01 1100 und die 45 012, die das LVA von Henschel als Ölfeuerungs-Versuchsträger hatte umbauen lassen. Nein, man entsinnt sich der im AW Braunschweig mittlerweile seit fast zwölf Jahren vor sich hingammelnden "Cab forward". Sofort erkennen die Verantwortlichen die Möglichkeit, durch die Korrektur des Geburtsfehlers der 05 003 - der Kohlenstaubfeuerung - und deren Substituierung durch eine Ölfeuerung eine wohl einzigartige Maschine zu schaffen. Mit dem Einbau der Ölfeuerung und dem Ersatz der Kohlenstaubbehälter und des Turbinengebläses durch einen formwahrenden Ölbehälter entsteht eine fast grandios zu nennende Maschine; eine Dreizylinder-Hudson mit Verbrennungskammer-Hochleistungskessel und 20bar Kesseldruck; schlicht die Vervollkommnung der Idee, die die geistigen Väter der 05 003 gehabt hatten. Wird sie nicht gerade vom BZA Minden benötigt, wo man sie ob ihrer beinahe 3000PS Leistung und 175km/h Höchstgeschwindigkeit außerordentlich schätzt, steht sie für die Beförderung von F-Zügen zur Verfügung. So trägt sie stolz das Farbkleid der blauen Paradezüge, ein farblich abgesetztes Dach, die bekannten aluminiumfarbenen Längszierstreifen und - á la V200 - den Schriftzug "Deutsche Bundesbahn" an den Flanken; letzteren, auf Grund der Position der Wartungsklappen, allerdings leicht versetzt. Auch das Nummernschild musste weichen, weil es an der ursprünglichen Position mit dem Zierstreifen kollidiert hätte. So kam es dorthin, wo es auch bei einer 103 sitzt - zwischen die Frontlampen. Wie diese Vita, führt man sie fort, hätte weitergehen können, bleibt der Phantasie des Lesers überlassen. Vielleicht hätte sich die 05 003 Öl beim BZA als genauso langlebig erwiesen wie die 45 010 und - in schwarz - als "005 003" sogar noch die UIC-Ära erlebt. Wer weiß? Aber was für eine Lok wäre das gewesen..!
Das zweite Bild zeigt den Traum eines Mannes: Oberrat Dr.-Ing. habil. Paul Schöning:
Nach dem zweiten Weltkrieg kam die 61 001, Zuglok des legendären "Henschel-Wegmann-Zuges", zum Maschinenamt Minden. Damit kam sie in den Wirkungsbereich eines Mannes der, wie Gottwaldt so schön schreibt, "den ingeniösen Gedanken ihrer Schöpfer zu folgen bereit war". In Kenntnis des bekannten "Splittergattungserlasses" vom 24.07.1950, nach dem alle Baureihen, von denen zwanzig oder weniger Maschinen vorhanden waren nicht mehr ausgebessert werden dürften, kämpfte Schöning seinen Kampf mit der Verwaltung um die 61 001. Sein Ziel war dass sie "...nochmals aufgearbeitet werden soll", was man "...im Zeichen des Schnellverkehrs ... ernstlich in Erwägung ziehen solle", wie er in seinem Schlussbericht vom 25.04.1951 über die Maschine schreibt. Warum nicht? Die Baureihe 05 bestand auch nur aus drei Exemplaren und feierte damals nach ihrer Aufarbeitung bei Krauss-Maffei auch fröhlich Urständ in F-Zug-Diensten. Warum also nicht auch die 61? Sie hätte wohl so ausgesehen wie auf der Abbildung: Die aluminiumgraue "Haube" ist Reminiszenz an glorreiche Vorkriegszeiten, nimmt die Formsprache der Wasserkästen auf, schließt mit ihrer Unterkante mit der der Wagondächer ab und bildet so einen gelungenen optischen Übergang zum Zugverband; ebenso, wie der Lokkorpus die Zierstreifen der Wagen in Farbe und Höhe aufnimmt. An der Seite finden wir, wie an den Wagen auch, den stolzen Schriftzug der noch jungen "Deutschen Bundesbahn"; doch am Führerhaus prangt bereits das neue Logo der neuen Bahn.
Natürlich ist diese Maschine wie jede fiktive höchst diskutabel; vielleicht hätte sie ein entkleidetes Triebwerk erhalten, wie es auch auf dem bekannten Bellingrodt-Portrait zu sehen ist. Allein, damit hätten wir in diesem Thread die Grenze von der Farb- zur Formspielerei überschritten, womit er thematisch uferlos würde - weswegen ich diesen "chirurgischen Eingriff" unterlassen habe. Und - hätte ihr die Vollverkleidung, insbesondere mit dem Schriftzug und dem eleganten Anstrich, nicht etwas von ihrer Eleganz des Ablieferungszustandes wiedergegeben?
Beim nächsten Bild mögen Kritiker sagen, dass nunmehr der Boden der Haftung völlig verlassen worden sei. Eine F-Zug-blaue 61 002 - wie soll sich denn das zugetragen haben können, war diese doch im Bereich der DR Ost verblieben?
Weit gefehlt. Im gleichen Schreiben Schönings, das schon oben erwähnt ist schreibt er, man solle sich auch "...Gedanken darüber machen, ob man nicht die in Dresden laufende Schwestermaschine 61 002 etwa gegen eine T 18-Lok nach hier eintauschen sollte. Denn es bleibt ja immer jetzt als unüberwindliche Schwierigkeit bestehen, mit einer einzigen Lok einen einigermaßen vernünftigen Dienstplan machen zu müssen." Das war gar nicht so aus der Luft gegriffen - hatte denn nicht auch die 18 434 als Gegengabe für die 18 314 den Weg über die Grenze hinweg zu ihren Schwestern gefunden? Schöning schwebte ein F-Zug-Dienstplan für beide Maschinen auf einer für sie geeigneten Relation vor. Im Triebzug-Ersatzverkehr Münster - Altenbeken war, laut Schöning, die 61 001 ja schließlich bereits "ohne Schwierigkeiten" gelaufen. Und ausgesehen hätte die blaue 61 002 wohl wie oben.
Bliebe noch ein Koloss zu erwähnen. Bekanntlich hat die Bundesbahn lange eine Wiederaufarbeitung, ja sogar einen verbesserten Weiterbau der Baureihe 06 erwogen, bevor man sich dann doch für den Neubau der Baureihe 10 entschied. Am Weitesten gediehen waren die Pläne zur Rekonstruktion der beiden 06er, die Jürgen U. Ebel ja im EK publiziert hat, bei Krauss-Maffei. Diese haben die Spezialisten von Magnus exakt studiert und damit in Spur II einen beeindruckenden, 25kg schweren Vollmetallbrocken geschaffen. Eine entkleidete 06 wäre eben keine Vierkuppler-01 geworden; die Lage des Innenzylinders hätte eine völlig andere Lokfront ergeben, die optisch zumindest der Reihe 05 angeglichen worden wäre. Der Vorwärmer lag und liegt hinter dem Schornstein, und die Bundesbahn-06er hätten wohl die längsten Wittebleche aller Zeiten getragen. Hätten sie nun auch noch den blauen F-Zug-Anstrich wie 01 1087, 03 1014, 03 1022 und 03 1043 erhalten, dann wäre wohl ihre Majestät, die Lokomotive, vollkommen gewesen:
Quellmalz lässt sich in seinem Baureihenbuch über die 05 ausgiebig über diese "never was"-Lokomotiven aus. Warum eigentlich nicht? Nichts verbietet uns, die Epoche der blauen F-Züge noch einen Tick blauer zu gestalten, als sie wirklich war. Und, wer weiß, vielleicht ist eine blaue 61 näher an der Wirklichkeit dran, als wir es zu glauben wagen.
Grüße!
Christian