Kreativ statt reaktiv
Plädoyer für den MoBa-Enthusiasmus
Als ich Anfang letzten Jahres mit meinem kleinen Retro-Projekt begann, wusste ich praktisch nichts über elektrische Eisenbahnen – ich hatte nur ein schwaches Erinnerungsbild aus meiner Jugend vor Augen, das ich zum Leben erwecken wollte, nachdem ich meine beruflichen Aktivitäten eingestellt hatte.
Als "gelernter" Kommunikations- und Medienwissenschaftler (Schriftsteller wurde ich erst später) interessieren mich besonders kommunikative Prozesse in der Gesellschaft, und was sie mit uns Menschen machen. Der dominante Faktor in der Kommunikation weltweit ist derzeit – vor der Folie umfassender Digitalisierung aller gesellschaftlichen Prozesse – der individuelle Umgang mit dem Smartphone. Nicht von ungefähr habe ich kürzlich meine Bildmontage dazu gezeigt. Hier noch einmal in "klein" zur Erinnerung:
Wahrscheinlich bin ich der erste, der das Smartphone und die MoBa vergleichend in einem Kontext beleuchtet. Wie ich hoffe, nicht ohne Grund! :-) Seit einigen Jahren beobachte ich, wie mehr und mehr Individuen mit ausgestrecktem linkem Arm durch die Stadtlandschaft tappen – den Kopf gesenkt, und die Augen fest auf den Monitor ihres Smartphones geheftet. Ich begegne ihnen wahrlich massenhaft im Straßenbild als Fußgänger. Sogar dutzendweise beim Radfahren im dichten Stadtverkehr (!) – selbst beim Joggen im Grunewald, wenn ich mit meinem Crossbike auf Tour bin. Diese Nutzung nenne ich "reaktiv", da fast schon zwanghaft dem Impuls gefolgt wird, nichts "verpassen" zu wollen. Also eine rein konsumptive Haltung, die nichts Kreatives hervorzubringen scheint.
Was sehe ich dagegen bei den MoBa-Enthusiasten, wie sie hier das Forum beleben? Anfangs erschienen mir die vielen Bastler und Schrauber etwas weltfremd – fast schon spießig und belächelnswert. Nach und nach habe ich mir etliche verschiedene Themen genauer angeschaut, und beobachtet, bzw. geschlossen, mit welcher Hingabe, Liebe und Begeisterung hier teils über Jahre individuelle kleine Welten erschaffen worden sein müssen. Mit einer kritischeren Sichtweise könnte man sich fragen, ob die Beteiligten nichts Sinnvolleres zu tun haben, oder ob sie als Götter im Kleinen dem großen Schöpfergott nacheifern wollen. Ich denke aber, das trifft es nicht.
Meine große Liebe als Beispiel gilt seit meiner Jugend der Musik (im Besonderen den drei großen "B": Bach – Beethoven – Bruckner). Es liegt an der "Kraft der reinen Seele" der Musik, die uns in ihren besten Beispielen empfinden lässt, dass es neben der diesseitigen Welt des Egoismus, der Machtbesessenheit und des (Überlebens-) Kampfes, neben einer Welt voller Missverständnisse, die so viele Menschen entzweien, eine Welt gibt der Empfindsamkeit, der inneren Reinheit und Schönheit und der Verbundenheit. Und diese Empfindung löst Sehnsüchte aus. Ganz allgemein gesprochen Sehnsüchte nach einer "besseren Welt", einem Leben in innerer Schönheit und Frieden. Ich denke, diese Kraft, die in der Musik den unmittelbarsten Weg in unsere Herzen findet, wirkt auch auf anderen Gebieten menschlicher Interessen und Tätigkeiten.
Ohne es mit wissenschaftlichen Mitteln näher untersucht zu haben (ein denkbares Prozedere wären Serien intensiver, kritischer Befragungen) könnte ich mir vorstellen, dass diese Kraft der Musik vergleichbar auch im Gestalten unserer Miniaturwelten wirkt. Diese Kraft wirkt zutiefst kreativ! Und dies über lange Zeiträume, wenn ich mir die verschiedenen Miniaturwelten anschaue, die hier geschaffen wurden, bzw. deren Herstellungsprozess dokumentiert wird. Wie lange muss es dauern, allein einen einzigen Straßenzug zu gestalten, der einen Gleisabschnitt säumt? Die Ergebnisse sind nur denkbar vor dem Hintergrund tiefster Konzentration und größter Hingabe über einen langen Zeitraum. Natürlich belohnt durch tiefe Zufriedenheit beim Betrachten des fertigen Resultats!
Diese kreative Konzentration und Hingabe ist kaum vereinbar mit der passiv-reaktiven Dauerhaltung eines "Smartphonisten" – die Beschäftigung mit unseren MoBa-Projekten schützt uns geradezu davor. Daher also: Weiterbasteln! :-)