RE: Der fahrende Gleichrichter am Hausruck

#1 von Brillenhuber , 13.11.2016 15:00

1989 zeichnete sich ab, dass die Strecke Lambach - Haag am Hausruck mittels Zweisystemzügen bedient wird. Das Tram Museum Zürich veranstaltete daher eine Studienreise ins Reich der Fa. Stern und Hafferl, die diese Bahn betrieben.
Der Herr Oberingenieur der Firma war die ganzen 3 Tage dabei und betreute uns Bestens.
Am ersten Tag fuhren wir im Transalpin nach Salzburg, wo die Salzburger Lokalbahnen besichtigen sollten und auch die Bahn Bürmoos - Trimmelkam.
Nun, in Salzburg, nachdem wir im Speisewagen kräftig konsumiert hatten, waren nicht mehr alle so gut auf den Beinen. Das war aber insofern nicht schlecht, dass wir den strömenden Regen gut aushielten.
Wir wurden von einem frischen Jüngling, der sich als Gunter Mackinger vorstellte, begrüsst. Was mir so in Erinnerung blieb: Dass er offensichtlich eine gute Nase hatte, wie man Politiker behandeln musste. Seine Kernaussage: Ein Politiker muss jeweils irgendwo ein Band zerschneiden können. Natürlich unter Beteiligung von Journalisten und Fotografen. Ansonsten ist das Interesse gering. Darum habe die SLB zu diesem Zeitpunkt noch keinen durchgehenden Streckenblock, aber der neue Tiefbahnhof komme bestimmt.
Nun ja, wir klapperten die Strecke nach Lamprechtshausen ab und auf der Rückfahrt machten wir in Bürmoos zum ersten Mal mit der Fa. Stern&Hafferl Bekanntschaft. Der Herr Oberingenieur begrüsste uns und wir fuhren nach Trimmelkam.
Dass in Trimmelkam der Lokführer beim Führerstandswechsel mit einer Flasche und Stamperln den Insassen freigiebig Gertänke verteilte, hob die Stimmung sehr. Besonders froh waren die «Speisewagengeschädigten», die schon ein wenig an Entzug litten.
Nun, was so gut begann, sollte auch so weitergehen. Wir übernachteten die Tage in Gmunden, von wo wir am nächsten Tag, Sonntag, nach Neukirchen bei Lambach fuhren.
Dort stand schon ein uriges Gefährt bereit:

Vorne der Trieb- und hinten der Gleichrichterwagen.
Da der Gleichrichterwagen den Bügel oben hat, erkennt man, dass die Fahrleitungsspannung 15'000 Volt ist.
Das Ganze verhält sich so: Die Strecke Neukirchen bei Lambach bis Haag am Hausruck ist mit Gleichstrom 750 Volt ausgerüstet. Für das Stück auf der Westbahn von Neukirchen bei Lambach nach Lambach, das natürlich mit 15’000Volt Wechselstrom ausgerüstet ist, musste eine, natürlich möglichst billige, Lösung gefunden werden.
Man kreierte den Gleichrichterwagen, mit dem man den Triebwagen über ein Kabel mit verdaulichem Strom versorgte.
Der Gleichrichterwagen bestand aus einem Trafo, einem Gleichrichter, einem Führerstand und einem Motor. Und natürlich war auch ein grosser, zweihändiger Umschalter eingebaut.
Nun, wie ging das Prozedere vor sich: Umschaltbare Gleise gab es nicht. Neukirchen bei Lambach war voll wechselbestromt.

Ein paar hundert Meter nach der Ausfahrt begann ein ca. 100 Meter langes stromloses Stück. Fahrleitung. Im Gleichrichterwagen hat sich nun der Schaffner vorbereitet:

Das Innere des Gleichrichterwagens. Man sieht oben die zwei Einführungsisolatoren vom Bügel her. Hinter dem Gitter den Trafo, Gleichrichter und Oelhaupschalter und, neben dem Kopf des Mitreisenden, den Umschalter. Dort baumelt ein Schlüssel, erkenntlich am Anhänger.
Mit den Schlüsseln hatte es eine ganz besondere Bewandtnis: Es waren 2 Schlüssel vorhanden. Umgeschaltet werden konnte nur, wenn beide Schlüssel gesteckt und gedreht waren. Ein Schlüssel war jeweils gefangen und konnte, auch im offenen Zustand nicht abgezogen werden. Das hatte nun folgende Überlegung: man muss damit rechnen, nicht zuletzt wegen der Vakuumbremse des Triebwagens, dass der Zug in der stromlosen Streck liegenbleibt. Wenn das nun geschieht, kann die Fahrleitung von der einen oder von der anderen Seite her eingeschaltet werden, wobei dann das Stück zwischen der Schutzstrecke und dem nächsten Bahnhof stromlos wird. Um sicher zu stellen, dass der Gleichrichterwagen richtig geschaltet ist, kann man mit dem freiwerdenden Schlüssel nur der Fahrleitungsschalter eingeschaltet werden, der auch den richtigen Strom bringt.
Also: Schlüssel abziehen, zum richtigen Schalter gehen, Schutzstrecke einschalten, Zug vorziehen, bis über die Trennstelle, Schutzstrecke wieder ausschalten, Schlüssel wieder einstecken, weiterfahren.
Im Führerstand sah das dann so aus:

Das grosse Ding mit dem Blitz war das Vakuumbremsventil.
Der Führer beschleunigte nach der Ausfahrt, und fuhr mit HG in die Schutzstrecke ein.
Unter dem Bremsventil war ein Kästchen, in dem mittels Leuchten vom Gleichrichterwagen her gemeldet wurde, welche Stromart er liefert = oder Wechselstrom:

Da sich Vakuum nicht speichern lässt, und die alten Wagen, wahrscheinlich auch nicht besonders dicht waren, brach das Vakuum nach und nach zusammen. Man hörte das auch schön, am sich verstärkenden Bremsgeräusch. Vor Ende der Schutzstrecke musste das richtige Lämpchen leuchten, das heisst, der Umschalter im Gleichrichterwagen die Endlage erreicht haben. Wäre dies nicht der Fall, könnte der Führer mit dem roten Knopf den Hauptschalter im Gleichrichterwagen auslösen (bei einem anderen Wagen war es statt Knopf ein Kurzschlussstecker mit Kordel, der gezogen werden konnte).
An der Station Bachmanning wurde der Gleichrichterwagen stehen gelassen. Um das Manöver schneller durch zu führen, hatte er auch einen Motor eingebaut.



Nachher gings dann alleine weiter:



Bis nach Haag am Hauruck. Auch dort war eine Sammlung alter Fahrzeuge versammelt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Stern&Hafferl, meines Wissens nur alte Fahrzeuge im Einsatz. Ich glaube, die Zweisystemfahrzeuge waren die ersten Neubaufahrzeuge seit dem Kriege.

Dieser Treibwagen, von dem übrigens das Bild im Führerstand stammte, hatte der Herr Oberingenieur mit seiner Frau zusammen aufgefrischt:


Nachher gings wieder zurück, und am Abend waren wir wieder in Lambach:

Ja, das war eine ganz besondere Fahrt. Wie man sieht, war die Firma Stern&Hafferl sehr gut im Improvisieren. Mit dieser Taktik hat sie wohl einige Bahnen erhalten, bis man ihrem Nutzen wieder bewusst wurde. Hut ab vor diesen Leuten!
Wer noch weitere Bilder von der Reise sehen will, der schaue hier:
https://www.flickr.com/photos/r_walther/...157676467116475

Gruss Heinz


Brillenhuber  
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RE: Der fahrende Gleichrichter am Hausruck

#2 von lernkern , 13.11.2016 23:12

Hallo Heinz.

Ui, da hat es sich ja gelohnt, hier mal wieder reinzuschauen!

Danke für die Bilder und insbesonder für die schöne Schilderung der Zweisystembetriebs auf diesem Abschnitt bei Stern und Hafferl!! Sehr interessant!

Viele Grüße

Jörg


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RE: Der fahrende Gleichrichter am Hausruck

#3 von ThomasR , 14.11.2016 07:39

Danke für den Beitrag. Man sieht aber, so neu ist das Thema Zweisystemwagen 750/15.000V nicht.


ThomasR  
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