Hallo Henning,
wie in deinem Planungsthread bereits angekündigt, heute nun meine Rechercheergebnisse zu den Haniel & Lueg Sonderzügen:
Der erste Bohrschacht nach System Kind-Chaudron wurden 1852 auf der Zeche Dahlbusch in Westfalen über 100 m tief mit einer Cuvelage von 3,65 m lichter Weite ausgeführt [3]. Die dafür benötigten Cuvelageringe wurden aus Frankreich per Flußkahn und Eisenbahn importiert [1]. In Deutschland erfolgte die Herstellung von gusseisernen Cuvelageringen (zunächst ebenfalls mit einer lichten Weite von 3,65 m und einer Höhe von 1,50 m) ab 1875 durch Haniel & Lueg in Düsseldorf-Grafenberg [5]. Der letzte Schacht, der in Deutschland durch Haniel & Lueg nach dem Kind-Chaudron-Verfahren niedergebracht wurde, war Glückauf-Sarstedt [15]. Die Bohrarbeiten dauerten vom 28. Dezember 1904 bis zum 5. November 1907. Als Cuvelage wurden allerdings bereits gusseiserne Tübbings eingebaut.
Die älteste Erwähnung zu den Spezialtransportwagen, die ich gefunden habe, ist in "Stahl und Eisen" 1893 [2]. Dort wird berichtet, daß mit der Vergrößerung des Durchmessers der Cuvelageringe von 3,65 m auf 4,10 m neue Eisenbahnwagen benötigt wurden. Es heißt dort wörtlich: "Für die Transportwagen genügte bisher eine Tragfähigkeit von 11 500 kg, jetzt sind Specialeisenbahnwagen für 20 000 kg Tragkraft in Auftrag gegeben worden". Es hat also zeitlich nacheinander verschiedene Wagen gegeben. Der Wechsel auf die neuen Wagen dürfte Ende 1893/Anfang 1894 stattgefunden haben.
Die älteste zeichnerische Darstellung, die ich finden konnte, ist in "Dinglers Polytechnischem Journal" vom März 1894 [3]. Sie zeigt einen Wagen, bei dem der Cuvelagering von Tragebändern gehalten wird. In einer Haniel & Lueg-Firmenschrift von 1896 [4] findet man eine weitere zeichnerische Darstellung. Es ist eine Wagengruppe, bestehend aus 5 Wagen, davon einer mit Tragekorb und alle anderen mit Tragebändern. Durch die Darstellung von schräg oben lassen sich etliche Details auf den Wagen erkennen.
Ein erstes Photo gibt es in der Haniel & Lueg-Denkschrift von 1899 [5]. Es zeigt den auch von dir beschriebenen 6-Wagen-Zug mit zwei Drehschemelpaaren. Einen gleichen Zug, jedoch vom Zugende aus gesehen, kann man in dem Buch über "Die Entwickelung des Niederrheinisch-Westfälischen Steinkohlen-Bergbaues in ..." von 1903 sehen [6]. Mir fällt auf, daß in diesen beiden Zügen keine Wagen mit Tragekorb vorhanden sind. Sind auf deinen Bildern die Drehschemelwagen und die Wagen mit Tragekorb im gleichen Zug zu sehen?
Bei den beiden Drehschemelwagenpaaren vermute ich, daß sie für den Transport der ebenfalls erwähnten 4,40 m/4,78 m-Ringe [5,12] mit ihrem noch höheren Gewicht angeschafft wurden. Natürlich liefen sie dann auch in den Zügen mit 4,10 m-Ringen mit. Wie einige Firmenschriften zeigen, war übrigens der Transport von, zwischen zwei Drehschemelwagen eingehängten, übergroßen Ladungsstücken nicht so selten [7,8].
Beispielzeichnungen für die zweiachsigen Wagen findet man im "Verzeichnis der in den Wagenpark der Deutschen Reichsbahn eingestellten Wagen für außergewöhnliche Transporte" [13]. Die Drehschemelwagen sind in den "Musterzeichnungen für Betriebsmittel der Preussischen Staatseisenbahnen" dargestellt [11].
In der "Zeitschrift für angewandte Chemie" von 1907 wird das Abteufens des Schachts Hildesia beschrieben [9]. Aus Fig. 4 (S.1225) und den Angaben auf Seite 1226 ergeben sich für die Cuvelageringe ganz unten an der Moosbüchse die folgenden Abmessungen:
Außendurchmesser Da = 4400 mm (H0 = 50,6 mm)
lichte Weite Di = 4020 mm (H0 = 46,2 mm)
Höhe H = 1200 mm (H0 = 13,8 mm)
Wandstärke W = 115 mm (H0 = 1,3 mm).
Die Wandstärke nimmt dann nach oben zu immer weiter ab und aus Fig. 3 (S.1223) ist ersichtlich, daß oberhalb von ca. 200 m dann auch die lichte Weite auf Di = 4100 mm erweitert ist. Die Ringe einer Cuvelage haben also alle den gleichen Außendurchmesser, aber unterschiedliche innere Abmessungen und damit auch unterschiedliche Gewichte. Diese Abmessungen passen gut in das VDEV-Lademaß I [10]. Es bleibt ein Freigang von 150 mm unter den Ringen, was auch mit den Werten von 120 - 180 mm für die Kabeltrommelwagen [13] übereinstimmt.
Aus der angegebenen Länge der Cuvelage von 217 m folgt, daß in Hildesia 180 Cuvelageringe verbaut worden sind. Bei 6 Ringen pro Sonderzug ergibt sich, daß 30 Züge gefahren sein müssen. Aus dem Vortrag in der "Zeitschrift für angewandte Chemie" [7] läßt sich auch der Zeitraum eingrenzen, in dem die Sonderzüge nach Hildesia gefahren sind. Bis 24. März 1904 wurde noch gebohrt. Am 8. April [12] begann der Einbau der Cuvelage und am 24. Juni war bereits die Verfüllung des Ringraums zwischen Cuvelage und Gebirgsstoß fertig gestellt. Die Cuvelageringe müssen also bis Juni 1904 nach Hildesia transportiert worden sein. Da zwischen April und Juni eindeutig weniger als 30 Sonn- und Feiertage liegen, gibt es zwei Möglichkeiten der Transportdurchführung. Entweder es wurden entgegen der Aussage in [6] auch unter der Woche Sonderzüge gefahren oder die Cuvelageringe wurden auf Vorrat antransportiert, d.h. die Transporte begannen bereits vor April 1904 und es gab infolgedessen einen größeren Lagerplatz für die Ringe.
Im Modell, denke ich, wäre ein solcher Lagerplatz mit Kran und weiteren Gerätschaften ein echter Hingucker. Zumindest bei Haniel & Lueg auf dem Werksgelände wurden die Ringe dabei liegend gelagert [5]. Was ich nicht herausgefunden habe ist, wie die Ringe vom Zug oder Lagerplatz zum Bohrgerüst transportiert wurden. Kann man da in deinen Quellen etwas erkennen?
Basis für einen Nachbau der Drehschemelwagen in H0 könnten entweder die Metallbausätze von D.I.T-Modell [11] oder die Kunststoff-Fertigmodelle von Brawa [16] sein. Die Brawa-Modelle sind günstiger, erfordern aber auch deutlich mehr Umbauaufwand. Für die "Kabeltrommelwagen" könnte man ebenfalls die Brawa-Wagen oder aber einige, aktuell nicht lieferbare, Trix-Modelle als Teilelieferanten nehmen.
Quellen in chronologischer Reihenfolge:
[1] Annales des travaux publics de Belgique, Band XXVII, Brüssel 1869, S.146
https://archive.org/stream/annalesdestra...e/n150/mode/1up
[2] Stahl und Eisen, 13. Jahrg., 1.September 1893, S.757
http://delibra.bg.polsl.pl/Content/12546/Vol13_No17.pdf
[3] Dinglers Polytechnisches Journal, Jahrg. 75, Bd. 291, Heft 12, Stuttgart 1894, S.34
http://dingler.culture.hu-berlin.de/jour...j291?p=00000297
[4] Das Schachtabteufen in neuerer Zeit, Haniel & Lueg, Düsseldorf 1896, S.152
http://sammlungen.ulb.uni-muenster.de/hd...tleinfo/2971300
[5] Denkschrift zur Feier des 25. Jahrestages der Betriebseröffnung des Werkes von Haniel & Lueg, Düsseldorf 1899, S.68
http://sammlungen.ulb.uni-muenster.de/hd...tleinfo/2898125
[6] Die Entwickelung des Niederrheinisch-Westfälischen Steinkohlen-Bergbaues in ..., Springer-Verlag, 1903 (Reprint 2013), S.220
https://books.google.de/books?id=pjrMBgA...epage&q&f=false
[7] Witkowitzer Bergbau- und Eisenhütten-Gewerkschaft, Witkowitz 1903, S.23
https://schlotforum.wordpress.com/2010/1.../vitkovice_023/
[8] Bochumer Verein, Bochum. ohne Ort und Jahr. - Firmenschrift, Bild 6
http://www.drehscheibe-online.de/foren/read.php?17,7166554
[9] Zeitschrift für angewandte Chemie 1907, S.1220ff
https://archive.org/stream/bub_gb_d_byAA...ge/n88/mode/1up
[10] Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Dr. Freiherr v. Röll, Berlin - Wien 1915, Band 7, S.45f
http://www.zeno.org/Roell-1912/K/roell-1912--071-0045
[11] Musterzeichnungen für Betriebsmittel der Preussischen Staatseisenbahnen, Blatt II c 11 und II d 9
http://www.muschalek.de/Musterzeichnungen/IId91A.jpg
http://dit-modell.de/GueterwagenHHIIc11.htm
Güterwagen Band 5, Rungen-, Schienen- und Flachwagen, Stefan Carstens, MIBA-Verlag, Nürnberg 2008, S.115f
[12] Bergbaukunde, Zweiter Band, Julius Springer, Berlin, 3.+4. Aufl. 1923, 5. Aufl. 1932 (Reprint)
https://books.google.de/books?id=mY_yBgA...epage&q&f=false
https://books.google.de/books?id=QZGABwA...epage&q&f=false
[13] Verzeichnis der in den Wagenpark der Deutschen Reichsbahn eingestellten Wagen für außergewöhnliche Transporte, München 1936, Skizze 24 + 26
http://www.wieduwilt.org/archiv/zeichnun...ewoehnlich.html
[14] Wikipedia, Kaliwerk Hildesia
https://de.wikipedia.org/wiki/Kaliwerk_Hildesia
[15] Wikipedia, Kaliwerk Glückauf-Sarstedt
https://de.wikipedia.org/wiki/Kaliwerk_G...Cckauf-Sarstedt
[16] Langholzwagen der DRG
http://www.brawa.de/produkte/h0/wagen/gu...zwagen-drg.html
Viele Grüße
Peter
Änderungen und Ergänzungen:
28.06.2015 - Rechenfehler korrigiert
30.06.2015 - Geschichte Kind-Chaudron-Verfahren erweitert
01.07.2015 - Abmessungen der Cuvelageringe präzisiert