Seit Jahren arbeiten die alten Reichsstädte Dinkelsbühl, Rothenburg und Nördlingen daran, wie ihre stark fremdenverkehrsabhängige Region touristisch aufgewertet und besser erschlossen werden könnte. Meine Antwort ist einfach: Wiederinbetriebnahme der Bahnstrecke Dombühl - Nördlingen einerseits (wozu es bereits jetzt bemerkenswerte Anstrengungen gibt) - und, andererseits: Ein Comeback der "Reichsstädtezüge".
Reichs- was? Wir erinnern uns: Rothenburg o.d.T. war seit 1873 von Steinach aus, Nördlingen und Dinkelsbühl ab 1876 mit dem Zug erreichbar; die Gesamtstrecke Nördlingen - Rothenburg bekam später - in Anlehnung an die "Romantische Straße" - die Bezeichnung "Romantische Schiene". Von 1951 bis 1955 gab es eine direkte Zugverbindung von München über Augsburg und Donauwörth sowie Dinkelsbühl und Feuchtwangen in die Meistertrunkstadt - womit die alten Reichsstädte, die wie Perlen auf einer Kette an der Fahrtstrecke lagen, namensgebend für den Zug wurden: Der "Reichsstädteexpress" war geboren.
Wer sich nun unter einem "Reichsstädteexpress" etwa eine o3-bespannte Schnellzugwagengarnitur - womöglich noch mit eingereihtem WR, in dem man sich um das Leibeswohl unserer Wirtschaftswunder-Ausflügler kümmert - vorstellt, geht fehl. Dieser Kurs wurde mit VT95.9 (!) gefahren! Ich behaupte mal, der bildungsbeflissene Münchner, der in einem nicht bewirtschafteten Schienenbus bei herrlichstem Sommerwetter (sprich: in brütender Hitze) einen Ausflug in die Stadt des legendären Bürgermeisters Nusch unternahm konnte am Abend nach 14 Stunden Gesamtfahrtzeit auf etwas zurückblicken, das man wohl einen erfüllten Tag nennen kann.
Und doch: Falsch war die Idee nicht. Bis heute ist ein Tagesausflug mit dem Auto aus München zum "Meistertrunk" oder zur Kinderzeche eine familienpolitisch- wie -logistische Heldentat.
Dabei ginge es doch auch anders. Die DB selbst macht es vor, mit dem Allgäu-Franken-Express: Zügig, bequem und umweltfreundlich zu den schönsten Ausflugszielen zwischen Allgäu, Franken und Schwaben, umsteigefrei von Franken in nur drei Stunden und ohne ständiges "Papa, wenn kommt der nächste Rasthof, ich muss Pippi!" nach Oberstdorf. Warum soll das nur in Nord-Süd-Richtung funktionieren und nicht umgekehrt?
Denken wir uns den Reichsstädteexpress der Wirtschaftswunderjahre zeitgemäß interpretiert. Vom Münchner Hauptbahnhof geht es mit einem attraktiv beklebten - dazu später mehr - 612 in flotter Fahrt mit nur zwei Halten in Augsburg und Donauwörth (bekanntlich ebenfalls alte Reichsstädte) nach Nördlingen. Beginnt unsere gedachte Fahrt gegen 08.00Uhr in der bayerischen Landeshauptstadt, befinden wir uns gerademal eineinhalb Stunden später im Ries, und von hier aus nach einer weiteren Dreiviertelstunde in Dinkelsbühl. Weiter geht es nach Halt in der Kreuzgangspielestadt Feuchtwangen nach Dombühl - und dann ist erst einmal "Ende im Gelände".
Denn hier endet unsere "Romantische Schiene" heute. 1972 hatte die Bundesbahn in einem Anfall von, man möchte sagen vorausschauender Dummheit den Teilabschnitt Gebsattel - Dombühl stillgelegt - um in den Jahren darauf festzustellen, dass - ups! - ja dann das Personen- und Verkehrsaufkommen auf der gesamten "Romantische Schiene" zurückgeht und diese damit defizitär wird. Es kann, wie's kommen musste: Nach einigen Zuckungen war es dann soweit; 1985 endete auch der fahrplanmäßige Personenverkehr auf der Reststrecke Dombühl - Nördlingen. Heute ist es die rührige BayernBahn, die sich sehr um diese Strecke bemüht bzw. sich zusammen mit dem BEM Nördlingen um diese Verbindung sehr verdient gemacht hat - und wohl alle Kommunen an dieser Strecke würden sich die Finger danach lecken, in Form eines zeitgemäßen ÖPNV auf dieser Strecke eine Anbindung an die umliegenden Wirtschaftsräume Ansbach/ Nürnberg/ Fürth/ Erlangen (im Osten) bzw. Donauwörth/ Ausgburg (im Süden) zu erhalten.
So bleibt als Haken an der Sach' die Hakenfahrt über Ansbach (Gott, wie poetisch). Nun, die KBS 786 ([Stuttgart] - Crailsheim - Ansbach - Nürnberg) und KBS 920 ([München] - Treuchtlingen - Ansbach - Würzburg) erlauben einen zügigen Fahrstil, sodass wir mit unserem flotten Dieselwiesel dennoch bereits 40 Minuten später in Rothenburg ob der Tauber ankommen. Auf der nicht mehr existenten direkten Strecke - ein Kleinod bayerischer Vizinalbahnbaukunst, das mit Radien bis herunter auf 300m, einer 1:55-Rampe bei Diebach-Insingen und einer Spitzkehre in Schillingsfürst den Aufstieg zur Frankenhöhe bewältigte - betrug die Reisezeit mehr als das Doppelte. In Steinach bei Rothenburg ob der Tauber, wo noch einmal Kopf gemacht werden musste, wartet am Bahnsteig gegenüber der Triebwagen Richtung Neustadt/ Aisch, der Touristen, die gerne dem äußerst sehenswerten Fränkischen Freilandmuseum ihre Aufwartung machen möchten, nach Bad Windsheim (übrigens auch Reichsstadt) bringt.
Zur Mittagsstunde trifft der Reisende in der Tauberstadt ein - genau zur richtigen Zeit also, um sich erst einmal zu kräftigen und sich über die berühmte fränkische Küche mit ihren vielerlei Spezialitäten herzumachen. Gestärkt geht es dann zum Rathaus, ins Kriminalmuseum oder zu Käthe Wohlfahrt. Mehr als fünf Stunden Aufenthalt stehen dem Reisenden zur Verfügung - wer schon vorher, in Feuchtwangen oder Nördlingen beispielsweise, ausgestiegen ist natürlich entsprechend mehr - bevor unser "Reichsstädtezug" Rothenburg gegen 17.15Uhr verlässt, um die bayerische Landeshauptstadt noch vor 22.00Uhr wieder zu erreichen.
Der Clou: Das heutige Eisenbahnwesen erlaubte auch einen zweiten "Reichsstädtezug"-Kurs mit 612, der Nördlingen über die "Romantische Schiene" von Frankfurt aus via Nantenbacher Kurve und Würzburg in unter viereinhalb Stunden Fahrzeit erreichen könnte und so Touristen aus dieser Region umsteigefrei zu Meistertrunk und Kinderzeche bringen. Und zwischen Dömbühl und Nördlingen pendelten, als ergänzendes Zugangebot, die historischen Züge des Bayerischen Eisenbahnmuseums.
An den 612-Garnituren, die als "Reichsstädte-Express" unterwegs sind, müsste eigentlich nicht viel verändert werden. Freilich müssten sie bewirtschaftet sein - am Besten mit Angeboten, die sich an regionale Spezialitäten anlehnen; selbstverständlich müssten Informationen über touristisch interessante Ziele an der Strecke in Form von Flyern ausliegen, eine App über Sehenswürdigkeiten verfügbar sein und, und, und (von Zugbegleiterinnen in fränkischer Tracht oder gar Dirndl - nichts ist unfränkischer - rate ich hingegen dringend ab). Das Äußere muss eindeutig erkennen lassen, dass es sich um ein Angebot von DB Regio handelt und doch auf den besonderen Status des Zuges hinweisen.
So habe ich mich für dieses Erscheinungsbild entschieden: Die Silhouetten der Reichsstädte "erwachsen" aus der lichtgrauen Bauchbinde des 612. Ihnen vorangestellt ist jeweils Stadtname und -wappen. Über den Fenstern prangt der schlichte Schriftzug "Reichsstädte-Express", womit einerseits beiden Anforderungen genüge getan ist; andererseits der Beklebungsaufwand ein überschaubarer bleibt. Dies im Unterschied zu einer großflächigen Ganzreklame mit Motiven von Meistertrunk und Kinderzeche beispielsweise, die den Zug nicht mehr als DB Regio-eigen (ich habe "unseren" 612 der rührigen Mainfrankenbahn zugeschustert) erkennen ließe und überdies eine komplette Neubeschriftung erforderlich machte. Auf die Durchbildung des anderen Zugteils, der die Silhouetten und Wappen der anderen drei Reichsstädte Feuchtwangen, Augsburg und Donauwörth trüge, habe ich verzichtet.
Retusche nach einem Originalfoto mit freundlicher Genehmigung von gebrauchtemodellbahn.de - herzlichen Dank dafür!
Sicherlich, das ist alles noch "Science-Fiction". Voraussetzung für dieses Szenario ist vor allen Dingen eine Wiederinbetriebnahme der "Romantischen Schiene" in einem Zustand, der zwischen Nördlingen und Dombühl eine Reisegeschwindigkeit von 60km/h zuließe; ansonsten wäre die Strecke - ob mit oder ohne "Reichsstädtezüge" - gegenüber dem Straßenverkehr nicht konkurrenzfähig. Ein Wiederaufbau des Streckenabschnittes Dombühl - Gebsattel bleibt wohl blanke Utopie - wenngleich man beim Bau der A7 diesem Vorhaben wohl nicht ganz die Tür auf alle Zeiten zuschlagen wollte und daher die ehemalige Trasse mit einem beeindruckenden Überführungsbauwerk kreuzte. Aber sollte die "Romantische Schiene" ihre Renaissance erleben - die Idee, mit den Reichsstädtezügen umsteigefreie Direktverbindungen von den Ballungszentren in die Touristenhochburgen zu schaffen, war nicht falsch. Vielleicht hätte der Reichsstädte-Express, in zeitgemäßer Interpretation, in der Tat einen neuen Anlauf verdient.
Grüße!
Christian