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Der Fluch der Akribik, Teil 159
EIN FEINER PINSEL, DER AUF SICH HÄLT, VERRICHTET NIEMALS MINDERE ARBEITEN
Für lange Winterabende: Ein langes Plädoyer für den Pinsel
Pinsel werden in der Elementarschule regelmäßig als Rührgerät missbraucht, bis die Pinselhaare unkontrolliert nach allen Richtungen wegstehen wie bei einem Klopinsel. Der Lehrer sieht ungerührt beim Rühren zu, er weiß es meistens nicht besser. Nach dieser Untat wird die Farbe dick aufgetragen im Bestreben, deckende Flächen zu erzeugen. Das misslingt meistens, weil die ungeübte Hand die Farbe mit dem Pinsel nicht nur aufträgt, sondern gleichzeitig unkontrolliert verschiebt oder auch wieder abnimmt. Dabei entstehen unerwünschte Strukturen und unerwünschte transparente Stellen, letztlich also häufig Bilder, welche Kinder als „verhaut“ (verdorben) deuten.
Schade um die Zeit, die man besser nutzen könnte, um mit den Kindern Fußball zu spielen. Aber auch das können manche Lehrer nicht wirklich gut…
Ein Pinsel ist definitiv kein Rührgerät, sondern er hat etliche andere feine Eigenschaften, die jedoch allgemein kaum wahrgenommen werden. Das gilt selbst für prominente Nachschlagewerke. Zitat aus der Wikipedia:
Zitat
Ein Pinsel ist ein Werkzeug zum Auftragen von Flüssigkeiten, beispielsweise Tinte oder Farbe.
Das, liebe Wikimedia Foundation, ist eine völlig unzureichende Definition, die nur einen einzigen Aspekt von mehreren abdeckt.
Tatsächlich ist ein guter Pinsel ein Multifunktionswerkzeug, das mindestens vier völlig verschiedene Aufgaben erfüllen kann:
- Flüssigkeiten und Staub auftragen
- Flüssigkeiten und Staub entfernen
- Breiige und staubförmige Stoffe formen
Ich beschränke mich in der weiteren Darstellung weitgehend auf flüssige, wasserlösliche, Airbrush-taugliche Farben mit extrem feinen Pigmenten.
FARBEN AUFTRAGENTrägt man wasserlösliche Lacke stark verdünnt auf Kunststoff oder Blech auf, ohne zu grundieren, so haftet die Farbe bei den ersten zwei, drei Aufträgen grottenschlecht. Das bedeutet aber keineswegs, dass sie gar nicht haftet. Man muss den Vorgang nur ein paar Male wiederholen. Schließlich entsteht eine ganz dünne Farbschicht - so dünn wie bei einem Luftpinsel, nur eben mit interessanten Strukturen, die der Luftpinsel nicht zu erzeugen vermag.
Hier eine erste Probe auf einem G10 nach DB-Vorbild:
Bei diesem ersten Versuch zieht sich die Farbe auf eine kleine Fläche zusammen, wie wir das alle kennen. Man könnte meinen, das wird nie im Leben ein brauchbarer Farbauftrag. Ich lasse mich davon allerdings nicht beeindrucken.
Vielmehr bestreiche ich das ganze Dach mit reinem Wasser. In die mit Wasser benetzte Fläche trage ich Nass in Nass die 1:1 verdünnte Farbe auf, lasse sie verlaufen und stelle das Modell zum Trocknen weg. Der Farbauftrag ist in ein, zwei Minuten erledigt. Die Trocknungszeit dagegen braucht viiiieeeel Zeit. Der nächste Auftrag sollte immer nur erfolgen, wenn der vorangegangene völlig trocken ist. Ich habe daher immer mehrere Modelle gleichzeitig in Arbeit. Am besten funktioniert die Methode im Hochsommer auf dem Balkon, wenn das Wasser in der strahlenden Sonne in wenigen Minuten getrocknet ist und man rasch fortsetzen kann. Nach dem Trocknen sieht die erste Schicht so aus:
Eine zweite Schicht ist aufgetragen:
Und hier eine dritte:
Man sieht hier schön, wie mit jeder Schicht etwas mehr Farbe haftet.
Während bei mir bei mehreren Modellen die ersten Farbschichten trocknen, zeige ich nochmals an Hand des den Stammlesern dieses Threads schon bekannten G10-Modells mit den offenen Bremserhaustüren ein fertiges Dach, auf dem jede Blechbahn ein wenig anders aussieht und reichlich Farbstrukturen aufweist, die man mit dem Airbrush alleine schwer erzeugen könnte, wobei keinerlei Pinselhiebe zu sehen sind und die Farbe hauchdünn aufgetragen wurde:
Zwei Blechstreifen dürften kürzlich erneuert worden sein, sie sind nicht ganz so verschmutzt wie die anderen.
Anfangs ist die Farbe ein paar Aufträge lang transparent. Die Helligkeit der Farbe steuere ich dennoch nicht allein durch die Anzahl der Aufträge, sondern auch durch die Beigabe heller oder dunkler Farben. So kann z.B. ein zu dunkel geratenes Dach nachträglich fast beliebig aufgehellt werden.
Wie schon der Pwgs44 wurden die Seitenwände des G10 übrigens nicht mit braungrauer Farbpampe „geweathert“, sondern mit dem Pinsel komplett neu lackiert, bis er matt und nicht mehr ganz neu aussah:
Verwendet wurde ein nicht ganz winziger Pinsel der Größe 3.
Und die Farben? Ich trug keinen transparenten Mattlack (z.B. Humbrol Matt Cote) auf, sondern die Revell Aqua-Farben 36137 (Ziegelrot) und 36184 (Lederbraun), die ich ähnlich dem bei den ÖBB üblichen Maronibraun mischte. Mehr Ziegelrot und weniger Lederbraun – und schon hat man auch die DB-Farbe. Wieder etwas mehr Lederbraun – und schon hat man eine alte, etwas verrußte DB-Farbe. Hierbei gibt es kein allgemeingültiges Rezept, das muss bitte jeder für sich ausprobieren. Da die Farbe nach dem Trocknen ganz anders aussieht, als in nassem Zustand, muss man sich Zeit lassen und den Trockenvorgang abwarten, bevor man beurteilt, ob die Mischung gelungen ist oder nicht.
Eine Pipette hilft, Tropfen zu zählen, das Mischungsverhältnis zu dokumentieren und eine gelungene Mischung immer wieder gleichartig anzurühren.
Die Beschriftung wurde vorsichtig ausgespart und zum Schluss mit einer transparenten Schicht ein wenig mattiert und gealtert.
Die Farbe wurde nicht stark verdünnt, sondern gerade eben so, dass der Pinsel keine Strukturen mehr erzeugte – bei frischer Farbe ungefähr 1:1. Bitte nicht unkritisch nachmachen, sondern unbedingt selbst ausprobieren! Der Auftrag der Farbe erfolgte, wie bei richtigem Holz, immer in Längsrichtung der Bretter.
Der G10 erhielt drei Farbaufträge. Beim letzten Auftrag wurde teilweise ein wenig Schwarz und ein wenig Beige beigegeben, also nicht eine „Drecksuppe“ aufgetragen, sondern diese Farben wurden zur Grundfarbe dazu gemischt, wodurch ein wenig dezenter heller Schmutz in den Bretterfugen und der dunkle Dreck auf den Lüftungsklappen entstanden. Während eine dünnflüssige „Dreckssuppe“ unkontrolliert und gleichmäßig in alle Vertiefungen verfließt, lässt sich eine weniger dünne Farbmischung gut steuern.
Beim Fahrgestell ging ich analog vor, auch das ist von Hand gestrichen, und auch hier gibt es dank dem dünnen mehrschichtigen Auftrag keine Tropfen, auch nicht auf den Rangierergriffen und auf den hauchzarten Bremsauffanglaschen.
Die Pinselmethode hat den Vorteil, dass man Flächen kaum abkleben muss und dass man nicht Farbe verschwendet, indem man sie mittels Airbrush am Modell vorbei bläst.
In zwei, drei Abenden war ich mit dem Wagen fertig – viel schneller geht es auch mit der Airbrush nicht, wenn man sorgfältig abklebt und wenn man Trocknungszeiten abwarten muss.
FARBE ENTFERNENIst ein Pinsel trocken bzw. enthält er nur ganz wenig Feuchtigkeit, benimmt er sich wie eine Pipette. Er nimmt Flüssigkeit auf. Wissen wir alle, setzen wir aber kaum einmal gezielt ein.
Wenn ich einen Wagenkasten in der oben geschilderten Form streiche, liegt immer ein trockenes Tuch oder ein Stück Küchenrolle parat. Sammelt sich die Farbe in Ecken und Rillen, wird der Pinsel rasch ausgewischt und das Zuviel an Farbe sofort mit dem Pinsel abgesaugt.
Somit gibt es, vorausgesetzt die Farbe wird verdünnt und in mehreren Schichten aufgetragen, keine Tropfen, keine zugelaufenen Bretterfugen und keine Farbansammlungen entlang von erhabenen Elementen.
Wichtig ist mir dabei, dass man die überschüssige Farbe möglichst in der Richtung abnimmt, in der sie auch aufgetragen wurde.
FARBEN MODELLIERENEin Pinsel kann nicht nur Farben auftragen oder abnehmen, sondern auch Farben formen.
Das passiert auch schon ein bisschen bei ganz stark verdünnten Farbschichten, weshalb ich Bretter immer in Längsrichtung streiche, weil die Pinselhaare quasi ein wenig in der Farbe kratzen und so Strukturen erzeugen können, die einer feinen Holzmaserung ähneln.
Farbe kann man bewusst in Bereiche schieben, die ein wenig mehr Farbe brauchen. Trägt man wenig Farbe auf Bretter auf und belässt geringfügig mehr Farbe in den Fugen, so legt sich die Farbe dort auch an den Rändern an und grobe Fugen wirken nach dem Trocknen der Farbe etwas zarter.
Dickflüssige Farbe kann man auf Wunsch zu Erhebungen zusammenschieben bzw. damit Beulen erzeugen. Trocknet eine dickflüssige Farbe ohne Risse auf (ausprobieren!), so kann man mit dem Pinsel auch feine Spalten schließen. Nicht verspachteln, sondern verpinseln also. Praktisch z.B. bei feinen Klebenähten, an die man mit einer Spachtel schwer herankommt.
FARBEN SPRÜHENUnd schließlich ist ein Pinsel auch eine Art Low-Cost-Airbrush. Naja, ich gebe zu, ganz so genau wie ein Luftpinsel ist der Haarpinsel natürlich nicht. Aber er eignet sich gut zum Erzeugen von zufälligen Farbspritzern wie z.B. Dreckspritzer, die auch beim Vorbild zufällig entstehen, wie hier am Beispiel eines kleinen preußischen Kohlenwagens, den es gegen Kriegsende in die spätere Alpenrepublik verschlagen hat:
Der Pinsel wird einfach über ein Stück Holz oder Karton abgestreift und schnalzt dann in Richtung Modell, dabei sprüht er – wiederum ausreichend verdünnte - Farbe. Wie bei der Airbrush sollte man das unbedingt zuvor auf einem Stück Papier ausprobieren, dann kann man diese Methode mit recht gut vorhersehbarem Ergebnis einsetzen.
UNSER HEUTIGER HAUPTDARSTELLER: DER PINSELWenn du die üblichen Billig-Pinsel aus dem Papierwarenhandel vor dir auf dem Basteltisch hast, so wirf‘ sie bitte keinesfalls weg, sie sind die super geeignet zum Reinigen der Kettensäge oder der Kanten innen in der Klobrille.
ABER NIMM SIE NIEMALS ZUM MALEN! DAFÜR EIGNEN SIE SICH NÄMLICH GARANTIERT NICHT!Anders ausgedrückt: Hast du, alter Schwabe (auch außerschwäbische Schwaben dürfen sich angesprochen fühlen), wieder einmal vor lauter Sparen billigen Scheiß gekauft, so kann ich dir nicht helfen, dann musst du eben bezahlen für deinen Geiz.
Einen guten Pinsel hole ich mir ausschließlich im Künstlerbedarf, und er darf, wie jedes andere gute Werkzeug auch, ordentlich was kosten.
Wie schon früher einmal in diesem Thread erwähnt, müssen die Haare eines guten Pinsels auf ein einziges Haar zusammenlaufen. So kann man auch mit einem dicken Pinsel feinste Striche ziehen wie z.B. Albrecht Dürer bei seinem Hasen. Ob der Pinsel das wirklich kann, testet man im Geschäft.
Ein professioneller Verkäufer eines Fachgeschäftes bringt dir auf Wunsch ohne mit der Wimper zu zucken eine Schale Wasser. Darin tauchst du den Pinsel ein, bewegst ihn darin ein wenig, bis die Haare ein wenig auseinandergehen, nimmst ihn heraus, schwingst ihn und stoppst ihn ruckartig. Ein Wassertropfen fliegt heraus, die Haare des Pinsels schließen sich, er ist wieder ganz spitz und läuft auf ein einziges Haar zu.
Tut er das nicht (in einem ordentlichen Pinselgeschäft tut er das immer), lässt du ihn im Geschäft.
Links: Ein Künstlerpinsel der Größe 10, mit welchem man selbstverständlich wesentlich feinere Linien ziehen kann als mit dem verdorbenen Pinsel der Größe 4 rechts davon. Der Schatten verdeutlicht den Unterschied.
Man kann mit einem so großen Pinsel ohne weiteres auch winzigste Figuren bemalen. Grundvoraussetzung für gaaaanz feine Linien ist aber natürlich, dass man den Pinsel nicht als Ganzes in die Farbe eintunkt, als wollte man eine Toilette reinigen, sondern dass man nur mit der Spitze gaaanz wenig Farbe aufnimmt.
Den Pinsel rechts daneben habe ich als Malpinsel schon lange ausgeschieden und er dient mir nur noch zum Auftragen aggressiver Substanzen wie Aceton oder Essigesther. Indes, ich sehe solche die Bezeichnung Pinsel beim besten Willen nicht mehr verdienende behaarte Stiele immer wieder selbst in honorigen Modellbauzeitschriften als Malpinsel im aktiven Einsatz...
Meistens nehme ich dennoch nicht so große Pinsel, sondern Größe 3 oder 4 für Wagen, 000 oder 0000 für Figuren und anderes feines Zubehör. Kleinere Pinsel nehmen naturgemäß die Farbe vergleichsweise sparsam auf und geben wenig Farbe ab, sie sind etwas leichter zu handhaben.
PINSEL GANZ INTIM - DER PINSEL IM BADDa ich mit wasserlöslichen Farben arbeite und einen guten Pinsel niemals auch nur kurze Zeit einfach liegen lasse, sondern immer sofort auswasche, halten diese teuren Pinsel auch recht lange.
Ich habe immer zwei Gläser vor mir stehen: Eines mit schmutzigem Wasser, in welchem ich bloß schnell einmal die Farbe zum großen Teil loswerde. Dann wird der Pinsel in einem zweiten Glas mit klarem Wasser, das ich in kurzen Intervallen wechsle, ausgewaschen, bis keine Farbe mehr herauskommt.
Der Pinsel bewegt sich dabei stets nur im Wasser, er berührt möglichst nicht das Glas. Abschließend wird der Pinsel auf einem Blatt Küchenrolle ausgestreift – immer in Haarrichtung und zur Spitze hin. Fertig.
ANRÜHREN DER FARBEDas geschieht bitte niemals mit dem Pinsel. Der Lack wird mit Zahnstochern, einem Nagel oder mit kleinen Rührstäbchen, wie sie z.B. von Elita angeboten werden, aufgerührt. Der Pinsel bleibt in der Zwischenzeit in seinem Behälter und schaut vornehm gelangweilt zu. Ein feiner Pinsel, der auf sich hält, macht niemals Drecksarbeiten!
WAS MAN EINEM GUTEN PINSEL BESSER NICHT ANTUT- Niemals bis zum Holz in die Farbe eintauchen. Farbe gehört in die vorderen zwei Drittel der Pinselhaare, sonst nirgendwo hin. Steigt die Farbe höher, ist es an der Zeit, den Pinsel zu reinigen, denn aus dem Metall, das die Haare hält, kriegt man die Farbe viel schwerer wieder raus.
- Niemals die Farbe im Pinsel hart werden lassen, ihn immer wieder zwischendurch reinigen.
- Niemals den Pinsel stundenlang in einer Reinigungsflüssigkeit stehen lassen - davon verbiegen sich die Haare
- Niemals den Pinsel zum radikalen Anrühren von Farben verwenden
- Niemals den Pinsel fortgesetzt kräftig schieben statt ziehen, also quasi „gegen den Strich“ pinseln.
- Auch nicht mit einem teuren Pinsel Farbe in größerem Umfang heftig stumpf auftupfen – dafür besser einen bereits etwas beschädigten Pinsel, einen kleinen Schwamm oder ein Tuch nehmen
- Möglichst keine lösungsmittelhaltige Farben und Reinigungsmittel verwenden, welche die Pinselhaare und den Kleber des Pinsels angreifen. – Bevorzugt man dennoch aus gutem Grund solche Farben, dann sollte man sich aber natürlich im Klaren sein, dass der Pinsel dabei rasch verschleißt. Es gibt keine Reinigungsmethode, die einen solcherart beschädigten Pinsel wirklich zu 100% wieder herstellen kann. Für Präzisionsarbeiten mit aggressiven Lacken halte ich deshalb immer gleich mehrere Pinsel vorrätig.
HANDSCHUHE?Ich werde manchmal gefragt, ob ich Handschuhe anziehe, bevor ich meine Modelle anfasse. Nein, mache ich nicht. Ich wasche meine Hände einfach vorab mit Lysoformseife. Das ist zwar ungesund, aber es holt aus der Haut alles Fett heraus und man hinterlässt für eine Weile keine sichtbaren Fingerabdrücke. Nach getaner Arbeit kann man die Hände wieder einfetten. Indem man zum Beispiel ein gutes Hauswürstchen verzehrt.
So, genug der Pinselgeschichten.
Ich ergreife die Gelegenheit, euch und euren Familien ein schönes Weihnachtsfest und ein paar angenehme Tage zu wünschen.
Foto: ÖBB, Sammlung WiesnerLiebe Grüße
Euer Karl