Ziel ist es einerseits mit handelsüblichen Weichen beliebige Vorbildgleispläne verkürzt zu planen und aufzubauen, bei denen das Gesamtbild des Vorbildgleisplans in das Verkürzte Modell übertragen wird.
Da selbst bei der Verkürzung eines Vorbildgleisplans dieser immer noch deutlich zu lang sein kann, soll andererseits mit Hilfe der Verkürzung der vom Modellbahner üblich eigene Wunschplan nach der Systematik der Vorbildweichen geplant werden können.
Bei dieser Übertragung sollen an der Linienführung die Bedeutung der Vorbildgleise auch im Modell erkennbar sein: Das durchgehende Hauptgleis soll als solches anhand der schönen Linienführung ebenso erkennbar sein, wie auch ein Ladegleis, das nur langsam befahren werden darf.
Für dieses Ziel ergeben sich mehrere Fragen:
• Was sind die charakteristischen Merkmale des Vorbildweichensystems der S49-Weichen, wie auch der S54- und UIC60-Weichen?
• Wie sind die handelsüblichen Weichen von Märklin, Peco, Piko, Roco, Tillig, Weinert sowie Weller, Weichen-Walter und Bahnsinn, aus dem Blickwinkel der Vorbildweichen grundsätzlich zu betrachten und an die entsprechende verkürzte, jedoch am Vorbild angelehnte Systematik anzupassen?
• Was ist ggf. an jeder einzelnen Weiche zu ändern um diese Weiche der Systematik des Vorbilds anzupassen?
• Welche Verkürzungsmaßstäbe ergeben sich?
• Welche fahrdynamischen Zusammenhänge ergeben sich?
Für die Möglichkeiten des Vorbildgleissystems ist ein Ausschnitt aus einem Gleisplan des Bahnhofs Homberg/Efze an der Kanonenbahn (Berlin-Metz) zwischen Malsfeld und Treysa aus dem Jahr 1963 abgebildet. Dieser Gleisplan enthält mehrere Stellen, die mit den handelsüblichen Weichen der oben genannten Marken nur mit ganz bestimmten Änderungen an den Weichen aufgebaut werden können. Würden die Weichen ohne diese Änderungen verwendet werden, so würde das Gesamtbild des Modellbahnhofs schnell vom Vorbild deutlich abweichen.
Mit Klick auf den Plan kommt man zur besser lesbaren Vergrößerung:
Diese Strecke wurde zwar als Hauptbahn geplant, aber schließlich als Nebenbahn betrieben. Der Plan enthält fahrdynamisch fast das „volle Programm“, wie es auch an einer Hauptbahn vorkommen könnte:
• 500er-Weiche als Innenbogenweiche im durchgehenden Hauptgleis mit 50mm Überhöhung.
• Die Kreuzungsgleise 2 und 3 liegen am Anfang zusammen mit den Weichen 2 und 3 ebenfalls in 50mm Überhöhung.
• Die Weichen 2 und 3 sind keine Bogenweichen, liegen aber trotzdem in 50mm Überhöhung, was aber nur selten vorkommt.
• Übergangsbögen in der Form von Klothoiden in den Gleisen 1, 2 und 3.
• Im Gleis 1 insgesamt drei Klothoiden.
• Überhöhungsrampe im Gleis 5 in Bogen und Gerade.
• Bei den Weichen 1, 2 und 3 ist das Weichenende = Weichenanfang der nächsten Weiche. Dadurch liegen die langen durchgehenden Schwellen der ersten Weiche unter der Zungenvorrichtung der jeweils nächsten Weiche.
• Wichtige Bogenangaben sind in der Tabelle zu den Tangentenschnittpunkten Ts1 bis Ts4 enthalten.
• Der Plan enthält die vor Ort vorhandenen Vermessungslinien und deren Abmarkung z.B. als Eisenrohr (ER) und die Maßangaben der wichtigen Gleis- und Weichenpunkte zu den Vermessungslinien.
Angaben zum Höhenverlauf der Gleise in den Weichen mit Überhöhung sind in diesem Plan nicht enthalten. Hierfür werden Weichenvermarkungspläne aufgestellt, die auch Weichenhöhenpläne genannt werden. Zum Weichenhöhenplan wird auf ein besseres, weil einfacheres Beispiel mit nur einer Weiche in Überhöhung zurückgegriffen.
Mit Abstand die wichtigsten Vorbildweichen sind die Weiche 49-500-1:12, die Weiche 49-300-1:9 und 49-190-1:9. Diese Weichen sind die üblichen Weichen in Bahnhöfen mit einem oder mehreren Überholungsgleisen, sowohl bei unbedeutenden Nebenbahnen wie auch bei Altbaustrecken mit modernem ICE-Verkehr (hier jedoch inzwischen mit den Schienenformen S54 oder UIC60 und ggf beweglichen Herzstückspitzen).
Um nun aber erst einmal die Systematik der wichtigsten Vorbildweichen zu erkennen, fahren wir mit dem Schienenbus von Homberg nach Malsfeld und weiter mit Eil- und Schnellzug über Kassel und Hamburg-Altona nach Flensburg und werfen einen Blick auf einen Ausschnitt des Bahnhofs Flensburg um ca. 1990: Dies ist der Bereich der Ausfahrweichen nach rechts in Richtung Kiel, Dänemark (Abzw. Frieden) und zum BW. Von links kommt der Schnellzug aus Altona über Rendsburg an. Verschiedene Gleise sind inzwischen zurückgebaut - zu erkennen an leeren Flächen zwischen den Gleisen. Nach dem Besuch eines weiteren Bahnhofs für den Weichenhöhenplan wird wieder nach Homberg zurückgekehrt. Vergrößerung mit Klick auf den Plan.
Im Gleisplanausschnitt von Flensburg sind die Hauptsignale leider nur vereinfacht dargestellt, an den Weichen kann aber die Bedeutung der Gleise abgelesen werden. Im Gleisplan sind die wichtigen Weichen 49-500-1:12, 49-300-1:9 und 49-190-1:9 wieder zu finden, sowie verschiedene, von der Grundform abgeleitete steile Weichen.
Das Streckengleis von Kiel-Hassee wird zuerst betrachtet: Ein Zug von Kiel fährt auf HP1 zuerst über die Weichen 36 und 35. Diese beiden Weichen liegen direkt aneinander. Somit liegen die letzten durchgehenden Schwellen der Weiche 35 bereits unter der Zungenvorrichtung der Weiche 36. Hier ein Beispiel aus Kassel Hbf:
An fünf weiteren Stellen des Planausschnitts ist diese Schwellenanordnung zu erkennen:
1. Die Zungenvorichtung der Weiche 33 liegt auf den Langschwellen der Weiche 34,
2. Die Weichen 33 und 32,
3. Rechts die Weiche 50 und die nächste Weiche weiter rechts,
4. Rechts oben die Weichen 3 und 4
5. und schließlich die Weichen 4 und 6
Man sieht auch an diesem Beispiel: diese kurze Anordnung der Weichenstraße ist sehr häufig zu finden.
Weiter geht die Zugfahrt über die Weichen 34 und 33. Weiche 33 ist eine 49-500-1:12/1/9, das ist somit eine steile Weiche, die von der Grundform 49-500-1:12 abgeleitet ist, jedoch ist hier der Bogen mit 500m Radius bis zur Neigung 1:9 fortgesetzt worden. Aber das ist nun ganz wichtig zu wissen: Bautechnisch unterscheidet sich die steile Weiche überhaupt nicht von der Grundform. Wäre der 500m-Bogen etwas kürzer, so hätte man im Plan eine Weiche 49-500-1:12 mit anschließendem Bogen eingezeichnet. Die Weiche 27 oben links ist auch als 49-500-1:12/1:9 angeordnet.
Geradeaus geht es über die Weiche 32 - eine ganz normale Weiche 49-500-1:12 - an den Bahnsteig in Flensburg. Die beiden benachbarten Gleise werden über die Zweiggleise von 500er-Weichen erreicht, somit ist die Einfahrt in und Ausfahrt aus diesen Gleisen mit 60km/h möglich. Von diesen Gleisen sind in Richtung Dänemark keine Zugfahrten möglich. Die Weichen drum herum sind alles 190er-Weichen und eine EKW 49-190-1:9 (Weichen 26, 28, 30, 34, 35, 36). Diese 190er-Weichen sind hier an dieser Stelle in Flensburg lediglich Weichen für reine Rangierfahrstraßen zum Güterschuppen und zu Ladegleisen, die für 40km/h berechnet werden. Im Plan rechts unten sind zwei Weichen 49-300-1:9 zu sehen und im Anschlussblatt liegt in der Zugfahrstraße ebenfalls eine 300er-Weiche. Die Züge von und nach Dänemark dürfen bei HP2 somit vermutlich mit 50km/h ein und ausfahren.
Die Zweiggleisgeschwindigkeiten in den Weichen berechnen sich wie folgt:
500er-Weiche: v = Wurzel(500/11,8*106)=67,02 -> zulässige Geschwindigkeit v = 60km/h
300er-Weiche: v = Wurzel(300/11,8*106)=51,91 -> zulässige Geschwindigkeit v = 50km/h
190er-Weiche: v = Wurzel(190/11,8*106)=41,31 -> zulässige Geschwindigkeit v = 40km/h
Wird der Bruch 106/11,8 vor die Wurzel gezogen, entsteht die Ruckformel:
V = 3*Wurzel(R)
Nun zur geometrischen Charakteristik der Vorbildweichen:
Bei den üblichen Modellweichen endet im Zweiggleis der Weichebogen in der Mitte des Normgleisabstandes des Modellgleissystems. Bei einer Modellweiche mit geradem Herzstück endet die Weiche ebenfalls in der Mitte des Gleisabstandes.
Bei den Vorbildweichen der DB und DR ist das anders. Die Weiche ist geometrisch wesentlich kürzer festgelegt. Der Abstand zwischen Stammgleis und Zweiggleis beträgt am Weichenende bei den Weichen 49-190-1:9 und 49-300-1:9 jeweils 1,838m und bei der Weiche 49-500-1:12 sind es 1,729m. Bei 4,5m Regelgleisabstand bleibt bei der 190er- und 300er-Weiche noch etwa 82cm übrig und bei der 500er-Weiche etwa 1,04m übrig um eine Zwischengerade anzuordnen. Bei Modellweichen ist meist vorbildwidrig keine Zwischengerade vorgesehen.
Aus dem Handbuch für Ingenieurvermessung der DB von 1970 die geometrischen Maße der S49-Weichen:
• In der ersten Spalte ist die Weichenform mit dem Zweiggleisradius enthalten.
• In der zweiten Spalte ist der Winkel der Weiche in Neugrad enthalten ( 100gon entspricht 90°)
• In der dritten Spalte ist die Länge b vom Weichenanfang bis zur Weichenmitte enthalten.
• In der vierten Spalte ist die Länge c von der Weichenmitte zum Weichenende enthalten.
Hier nun wichtig: Bei den Weichen 49-190-1:9 und 49-300-1:9 ist c mit 16,615m gleich lang. Die Länge der Herzstückgeraden der Weiche 49-190-1:9 errechnet sich aus c – b = 16,615m - 10,523 = 6,092m. Die Weichen 49-190-1:9 und 49-300-1:9 sind am Weichenende völlig identisch und können gegenseitig ausgetauscht werden. Die Weichen 49-300-1:9 und 49-500-1:12 sind Weichen mit Zweiggleisbogen, der durch das Herzstück hindurch führt. Bei diesen Weichen ist deshalb b = c.
• In der nächsten Spalte ist l, die Gesamtlänge der Weiche eingetragen.
• Dann die Spalte mit dem Spreizmaß e am Weichenende.
• Die Spalte d für den Abstand von der Herzstückpitze zum Weichenende ist nicht so wichtig.
• Und schließlich die Spalte S – der Abstand vom Weichenende bis zur letzten durchgehenden Schwelle ldS hinter der Weiche. In der Spalte wird wegen der konstruktiven Unterschiede zwischen Holzschwellen (H) und Stahlschwellen (St) unterschieden. Der Abstand S ist in der Gleisplanung wichtig.
Die Weiche 49-190-1:7,5 mit Blockherzstückspitze wurde schon in der frühen Epoche 3 durch die Weiche mit Schienenherzstückspitze ersetzt und diese neuere Weiche ist deshalb mit einer Geraden mit 4,817m (= c – b)Länge hinter dem Herzstück konstruiert.
Und nochmals aus dem Handbuch für Ingenieurvermessung der DB von 1970 die geometrischen Maße der aus der Grundform abgeleiteten S49-Weichen, wobei es für den Gleisplan in Flensburg besonders auf die Weiche 49-500-1:12/1:9 ankommt. Die steile Weiche ist mit 41,594m Länge im geraden Stammgleis gleich lang wie die 500er-Weiche in der Grundform.
Hier nun die Darstellung der Weichenstraße in Flensburg mit dem Programm Modellgleis. Der Gleisabstand am Zwischenbahnsteig beträgt etwa 10,5m:
• Gut ist an den relativ kurzen 190er-Weichen und den langen 500er-Weichen die Abstufung zwischen Zugfahrstraßen und Rangierfahrstraßen zu erkennen.
• Die 190er-EKW ist hier auch nur Teil der Rangierfahrstraßen.
• Auch fahrdynamisch gehört die 190er-EKW oder -DKW mit 40km/h zu den langsam zu befahrenden Weichen.
• Erst eine EKW- oder DKW 49-500-1:9 passt fahrdynamisch zu den Weichen 49-500-1:12/1:9.
• Die Bereiche der Langschwellen hinter dem Weichenende sind grün markiert.
• Überall dort, wo hinter einer Weiche nur ein Gleis grün ist und am anderen Weichenende eine Weiche anschließt, liegt diese Weiche bereits auf den Langschwellen der ersten Weiche.
• Die Bogenfortsetztung der beiden Weichen 49-500-1:12/1:9 bis zur Neigung 1:9 sind blau markiert.
• Bei der Weiche ganz rechts, eine 49-190-1:7,5/1:6,6 liegen die letzten Langschwellen innerhalb der Weiche. Dieser Bereich ist deshalb nicht grün markiert.
So weit für heute.
Im nächsten Teil wird die Systematik der Vorbildweichen auf verkürzte Gleissyteme übertragen und es werden daraus folgend die fahrdynamischen Formeln abgeleitet. Zuerst wird das S21-Gleisystem mit 10° Regelwinkel für Peco/Piko/Roco/Weinert/Tillig dargestellt. Anschließend S21-12° und S21-15° und wie die Weichen der Marken Märklin-C, Märklin-K, Peco, Piko, Weinert und Tillig und ergänzend die Weichen von Weller, Weichen-Walter und Bahnsinn in diesen Systemen angewendet werden können.