„Die Zeit, die trennt nicht nur für immer Tanz und Tänzer
Die Zeit, die trennt auch jeden Sänger und sein Lied
Denn die Zeit ist das, was bald geschieht“
Wer kennt noch dieses Lied von Barry Ryan aus dem Jahr 1972? Der Ausbilder trällert es fröhlich vor sich hin, so kennt man ihn gar nicht. Geradezu unverschämt gut gelaunt ist er. Aber warum nur? Holzmichi und Toni kommt das gleich verdächtig vor. Yoda und der Papst ahnen hingegen gar nichts.
Eigentlich sollte heute eine Stadtrundfahrt durch Sassenach und nach Trier zum Dom stattfinden, der Stummiländer sollte am Stumpfgleis der Strecke von und nach Pünderich abgestellt werden, dann sollte es eine Bustour durch Sassenach und einen Abstecher auf den Sassenstein geben und zum krönenden Abschluss ein Besuch in der Heilig-Rock Kapelle des Trierer Doms, wo in diesen Tagen - was sehr selten vorkommt - anlässlich des päpstlichen Besuches das Gewand Christi ausgestellt werden sollte. Aus diversen Gründen musste das verschoben werden, Baustellen in Sassenach, die den Genuss einer Stadtrundfahrt doch sehr getrübt hätten und eine Straßensperrung in Richtung Trier. Der Papst war sehr enttäuscht, hatte er doch schon gehofft, auf der Eifelstrecke einen Abstecher nach Prüm in die St. Salvator Basilika, wo die Sandalen Christi aufbewahrt werden, machen zu können. Das hatte sich zerschlagen, weil die Stichbahn nach Prüm leider wegen Bauarbeiten gesperrt war. Überall Bauarbeiten, wie zur Wirtschaftswunderzeit!
Also macht man heute eine Tagestour nach Pünderich zum Hangviadukt, der ja bekanntlich als einzigartiges Bauwerk auch ein gutes Fotomotiv abgibt. So hatten die an Bord befindlichen Fotografen sich auch schon auf eine bunte Zugfolge, die hier abzulichten wäre, gefreut, an der Mosel ist ja nahezu alles gefahren und auf dem Hangviadukt lässt sich das bestimmt schön in Szene setzen.
Allerdings kommt es etwas anders als gedacht. Unser schlauer Ausbilder hat nämlich bei dem Ausflug durchaus Hintergedanken… Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, so ist ja sein Motto. Also Mosel: Ja! Aber nur gucken: Nein!
Bei der Fahrt über die Moselstrecke richtet der Ausbilder seinen Blick "ganz zufällig" auf eine kahle Stelle am Hang, während die Stummis den entgegenkommenden Trafotransportzug bewundern. Der Ausbilder hat halt seine Augen überall, so scheint es. Vielleicht weiß er aber auch einfach von der Misere des mit ihm befreundeten Winzers. Ich glaube ja eher letzteres, die zwei hatten in den letzten Tagen mehrfach telefoniert.
Ganz der Große Organisator, hat er natürlich sofort und aus dem Nichts einen Plan, wie man der darbenden lokalen Weinwirtschaft helfen kann, er hat ja einen Haufen Helfer auf den Stummiwagen drauf und sozusagen unter seinem Kommando. (ich bin überzeugt, das hat er alles schon vorher ausgeheckt und freut sich diebisch darüber, dass die ahnungslosen Stummianer das alles so schlucken und mitmachen)
Die schon recht groß herangezüchteten Plfanzen sind auf dem ehemaligen Klostergelände in der bekannten Steinfelder Weinstockschule und liegen bereit,
sie müssen „nur“ an Ort und Stelle gebracht und in den Boden gesetzt werden. Für den Winzer und seine beiden jungen Söhne ohne Hilfe eine unlösbare Aufgabe. Also wird der Lustige Stummiländer "auf höchsten Befehl von oben" von Bullay aus zurückbeordert als Sperrfahrt bis zum Hang, die Stummis steigen aus und machen sich nützlich, der Ausbilder hat halt auch die Bahn im Griff - der Fahrdienstleiter in Bullay ist ein Kamerad aus der Zeit in der Mechernicher Kaserne.
"Also: Hopp Hopp, die Weinstöcke einpflanzen. Sind doch nur 488 Stück, wenn jeder anpackt, seid Ihr damit doch schnell fertig."
Bei der ersten Frühstückspause sieht es noch ein bisschen spärlich aus, denn keiner der Stummis hat Ahnung vom Weinbau, die Zeit vergeht wie im Flug ohne nennenswerten Erfolg:
„Net immer nur Wein saufen, Ihr könnt auch was dafür tun! Hopp! Hopp! Ein bisschen schneller, sonst ist ja schon Herbst, bevor die Weinstöcke im Boden sind!“ wird der Ausbilder ein wenig deutlicher und auch ein wenig lauter. Klar, er hat damit gerechnet, dass der Zug schon im Mai ankommt und natürlich ist hier nichts improvisiert, sondern straff durchorganisiert. Militär eben. Dass tatsächlich längst Herbst und die Weinlese in vollem Gange ist, ignoriert der Ausbilder schlicht: „Kann ich dafür, dass Ihr Euch bei der Anreise so verspätet habt?“ ist sein barscher Kommentar. "Die Weinstöcke müssen gepflanzt werden, ob nu Mai ist oder November. Hab ich dem Winzer Peter doch versprochen", denkt er, aber das sagt er nicht.
Nach dem zweiten Frühtstück (Pippin, der Hobbit nennt das „Elevenses“, denn das ist um 11 Uhr) sind die ersten 110 Weinstöcke gesetzt:
„Net jammern, schaffen!“ mit diesem Nachsatz „motiviert“ der Ausbilder jetzt die letzten Zweifler. „Sonst übernachten wir hier noch“. Das will keiner und so geht es zügig voran. Viel zügiger als die Winzerfamilie es allein geschafft hätte. Peter W. ist begeistert.
Während der Mittagspause kommt der Erz-Leerzug von Dillingen zurück, da sieht es nur ein ganz klein wenig besser aus:
Ganze 62 Weinstöcke haben die Stummis in den letzten 1 1/2 Stunden gesetzt, die Moral der Truppe ist wohl nicht so toll, wie der Ausbilder gedacht oder vielmehr gehofft hat, aber natürlich kann er motivieren, das hat er ja gelernt, nicht nur laut, auch leise und das geht ja manchmal besser.
Er erzählt nicht von den vielen Weinstöcken, die noch gesetzt werden müssen, sondern von dem Riesling, der schon im übernächsten Jahr hier in vollen Trauben wachsen wird und von dem der Winzer Peter jedem aktiven Teilnehmer eine Kiste schicken will. Das beflügelt die Anstrengungen natürlich erheblich. Daran, dass der Peter ihre Adressen gar nicht hat, denkt keiner...
Für den Nachmittag sind ja „nur noch zwei“ Wingerte übrig, die bepflanzt werden müssen, den mittleren, großen hat der Ausbilder für den Schluss vorgesehen denn da haben unsere Stummis schon richtig Routine und stehen sich bei der Arbeit nicht gegenseitig im Weg rum, wie es vor dem Frühstück noch war und das Suppenkoma ist auch überwunden (währenddessen wurde nur der kleine Wingert rechts geschafft).
Der Rechte Wingert ist pünktlich zum Kaffee, den die Winzerinnen eilig herbeischaffen schon Geschichte.
Am Abend schließlich, als die dunklen Wolken heranziehen:
Den Reisenden im IC nach Saarbrücken ist gar nicht klar, was hier weltbewegendes passiert.
„Na also, das war doch alles kein großer Akt!“ Da können wir ja weiterfahren…
„Nächstes Jahr dürft Ihr zur Lese wiederkommen“ Den Hinweis des Winzers haben alle verstanden, sie wünschen sich, bei der 3. Reise nicht an die Mosel zu müssen, jedenfalls nicht zum Arbeiten. Der Wunsch wird noch mal um einiges stärker, als der Ausbilder meint: „Das habt Ihr gut gemacht.“
Er lobt nämlich nur, wenn er was will und das kommt prompt: „Wenn die Bergbauer mit den Bergen hinter dem Hangviadukt fertig sind, könnt Ihr da auch weiter pflanzen, Ihr wisst ja jetzt wie das geht.“
An diesem Abend hält die ansonsten lustige Partygesellschaft nicht lange durch, selbst Yodas gestählter und sonst kerzengerader Rücken ist krumm von der harten Arbeit im Weinberg. „Konntest Du das nicht mit der Macht lösen?“ fragt ihn der Papst leise, sodass die anderen es nicht mitbekommen. „Wenn die Macht Du anwendest, nicht gut schmeckt der Wein“, war Yodas eindeutige Antwort. Seine Heiligkeit reibt sich den Rücken mit einem Tropfen ein, der eigentlich für eine besondere Gelegenheit gedacht war. Na, was besonderes war der Tag ja, denkt er sich und pflegt seinen schmerzenden Rücken, auch wenn wir die "Latschen" und das "Kleid" nicht gesehen haben.
Und so ist - dank der großen Einsatzfreude der Stummis - eine der Aufnahmen aus meiner aktuellen Signatur gar nicht mehr aktuell, sondern endgültig Geschichte: Der Hang unter dem Hangviadukt ist nicht mehr vollkommen kahl. Dass hier später der bekannte Vino Papensis, der päpstliche Wein produziert wird, der natürlich reißenden Absatz nicht nur im katholischen Lager findet, das kann heute noch keiner ahnen.
Der Ausbilder ist jedenfalls nach der Pflanz-Aktion sichtlich und hörbar entspannter. Der Dank seines befreundeten Winzers Peter W. ist ihm sicher. Wegen eines auch heute immer noch offenen Strafverfahrens wegen des Verdachts der Bestechung darf ich den Namen des Winzers nicht nennen, der Name wurde auch geändert. Wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit kann ich auch den Namen des Ausbilders nicht nennen, das war Euch sicher früher schon aufgefallen... Der verteidigt sich übrigens zurzeit mit der Aussage, er wisse nicht, wer und warum ihm eine LKW-Ladung Weinkisten vor die Tür gestellt hat… Einen Bezug zu der damaligen spontanen Pflanzaktion könne er nicht erkennen... So hieß es wohl beim Verhandlungstag letzter Woche, wenn man dem "Sassenacher Volksfreund" Glauben schenken darf.
Die weitere Reise wird sicher etwas ruhiger für die vielgereisten Stummianer. "Doch", sagt der Ausbilder, "habt Ihr toll gemacht, dafür gibt's die nächsten Tage was Erholsames!" Und leise summt er weiter vor sich hin:
„Die Zeit, die trennt nicht nur für immer Traum und Träumer
Die Zeit, die trennt auch jeden Dichter und sein Wort
Denn die Zeit läuft vor sich selber fort“
Sicher ist es Euch aufgefallen, die Reisenden haben heute wieder eine kleine Zeitreise angetreten, denn je schneller man arbeitet, desto langsamer vergeht die Zeit und frei nach Einstein: Wer mit über-Lichtgeschwindigkeit arbeitet, bewegt sich in der Zeit rückwärts. An den Zügen, die in der Zeit auf dem hinteren Gleis vorbeifahren, konnte man es sehen und als es am späten Nachmittag routinierter, aber auch langsamer zuging, da ging die Zeit auch wieder vorwärts.
Willkommen im Jahr 1972, in dem der Fahrdraht gerade erst die Moselstrecke überspannt, Dampfloks aber noch fahren, Barry Ryan „Zeit macht nur vor dem Teufel halt“ singt und andere Dinge passieren, die nicht alle toll sind. Die olympischen Spiele in München: Ja, das Attentat: Nein! und dann kam ja noch einiges andere hinterher...
Unsere Reisenden schlafen indes den Schlaf der Gerechten, heute nicht in der Werkshalle von Matthias Plattes, sondern im Sassenacher Hof, der einem Schwager von Peter W. gehört. Und von Vetternwirtschaft will ich jetzt nix hören!
Mehr, wenn Ihr mich wiederseht, Ihr müsst unbedingt gucken, wie’s weitergeht…