Die Geschichte des Weins im Königreich Cavembourg Teil 2: Von Fasswagen, Liquid Chlorine und dem Wiener Weinskandal von 1982
Königreich Cavembourg ist nicht nur Herkunftsland eines großartigen, einmaligen Weines, sondern, wie wir bereits wissen, ein von Schienen durchzogenes Eisenbahndorado. In keiner anderen europäischen Region spielt dieses Transportmittel für die Bevölkerung, aber auch für den Güterverkehr eine so wichtige, zentrale Rolle. Für den Transport von Wein war der Schienenverkehr über viele Dekaden Tradition und nationales Selbstverständnis.
So waren 1920 alle cavembourgischen Weingüter an das Eisenbahnnetz des Landes angeschlossen. Die einzelnen Betriebe hatten eigene Lager- und Güterabfertigungsgebäude errichtet und nutzten entsprechende Fasswagen für den Eisenbahntransport. Diese Wagen trugen meist hölzerne Fässer verschiedener Volumina und es prangten stolz die Namen der Weingüter oder schlicht das Herkunftsland darauf. Sie fuhren von Lissabon bis (entsprechend umgespurt) nach Moskau, wobei sie an manchen Übergabebahnhöfen streng bewacht werden mussten, da schon mal ganze Weinzüge abhanden kamen.
Auch in Übersee war der cavembourger Wein begehrt und beliebt.
Mit einem Amerikaaufenthalt von Napoleon III. gelangten bereits in den 1860ern nachweislich erste Weinfässer aus dem Königreich auf den amerikanischen Kontinent und auf die Getränkekarte von New Yorks ältester Restauration "Delmonico´s Restaurant"*, in dem der französische Staatsmann zu speisen pflegte. Auch wenn das "Delmonico´s" während der Alkohol-Prohibition (1920-1933) seine Pforten schloß, auf den Genuss des Clos Cavembourg mussten die amerikanischen Weinkenner in dieser Zeit nicht unbedingt verzichten. Ein englischer Distributor für Chemikalien, Waffen und Drogeriebedarf aus Birmingham, die Shelby-Company Ldt.** importierte, neben Gin und Rum, auch Wein aus Cavembourg in die USA. Dafür verschiffte das Unternehmen von New York aus leere amerikanischen Eisenbahnkesselwagen nach Europa und ließ sie im Hafen von Rotterdam mit dem roten Gold befüllen. Als "Liquid Chlorine" deklariert, gelangten die Kesselwagen über den Atlantik nach Chicago, von wo aus ein örtliches Partnerunternehmen*** den Inhalt auf dem Schwarzmarkt vertrieb. Um die Täuschung möglichst echt wirken zu lassen, beschriftete die Shelby-Company ihre Wagen entsprechend.
Im Laufe der Prohibitions-Zeit ging der Ausdruck "Liquid Chlorine" in den allgemeinen amerikanischen Sprachgebrauch über. Er wurde ein Synonym für "Guter Wein" oder auch schlicht "Europäischer Wein". Und wenn man heute in einem US-amerikanischen Restaurant eine Flasche "Liquid Chlorine" bestellt, bekommt man automatisch den teuersten Wein der Karte (das muss nicht unbedingt ein Cavembourger sein!).
Foto: Nicht weit vom Hafen Rotterdam hatte die Shelby Company Ltd. ein Areal gepachtet. Hinter Hecken, hohen Betonmauern und Zäunen waren die stationären Tanks gefüllt mit bestem Clos Cavembourg. Hier wurden die US-Kesselwagen betankt. Bis auf das Wappen Cavembourgs an dem großen Tank weist nichts auf diese Vorgänge hin. Das Foto ist von 1930. Die Abfüllstation existiert nicht mehr.****
Foto: Das Modell eines "Liquid Chlorine"-Kesselwagens stand bis in die 1970er als Denkmal vor der Alten Kelterei in Cavembourg/Stadt. In dem Gebäude befindet sich heute das Önologische Institut, der Wagen ist verschollen.
Weinetikett: 75 Jahre nach dem Ende der US-Prohibition erinnert diese Sonderedition eines Clos Cavembourg an die dunkle Zeit der Abstinenzbewegung. Diese Edition ist für den Export in die USA gedacht. Die "Red Right Hand" war das Logo der Shelby Company Ltd.. Mit dem gleichnamigen Song setzte der Musiker Nick Cave der Shelby Company ein Denkmal. Wobei auch die gewaltsame Seite der Unternehmenskultur hervorgehoben wird.
Bis in die 1980er exportierte man den Montcave weltweit in traditionellen Fasswagen, den Clos Cavembourg überwiegend in verschiedenen, teils modernen Kesselwagen. Diese Transportart war ein Markenzeichen geworden und eine Tradition, die 1982 schlagartig beendet werden musste, als es zum Wiener Weinskandal kam. Ein österreichischer Großhändler hatte scheinbar über Jahre bei der Flaschenabfüllung den teuren Montcave mit minderwertigem österreichischem Landwein gestreckt und damit den osteuropäischen Markt beliefert.
Auf die Schliche kam man dem Betrüger erst bei einem Staatsbesuch der cavembourgischen Königin Delane I.***** in Wien im Jahr 1982. Als man die österreichische Appellation des Montcave der Königin bei einem Staatsdiner mit dem österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky und seinem Verkehrsminister Benjamin Grottler****** kredenzte, spuckte sie den ersten Schluck geradewohl zurück ins österreichische Kristallglas und rief in einem seltenen Anflug unroyaler Derbheit aus, daß „diese schmierige Plörre nie und nimmer ein echter Montcave“ sei.
Für die Königin eine Bestätigung ihrer vorzüglichen Weinkenntnisse, für Österreich eine diplomatische Peinlichkeit und für den cavembourgischen Weinbau ein gewaltiges Imageproblem.
Foto: Cavembourger Wein im Odenwald auf der Strecke der Gersprenztalbahn. Auch in den entlegensten Gegenden legte man Wert auf einen guten Tropfen. Das Bild stammt aus den 1910ern. Foto von nilkram
Die bisherige Vermarktung und Transportlogistik musste sofort umgekrempelt werden und man versuchte dem Schaden mit kontrollierter Flaschenabfüllung auf den originären Weingütern zu begegnen. Die deutsche Firma Pahlgruber und Söhne baute kurzfristig mehrere Abzapf- und Verkorkungsanlagen auf den cavembourger Weingütern und konnte sich über viele Jahre das alleinige Vermarktungs- und Vertriebsrecht cavembourgischer Weine in Deutschland sichern ("Abgezapft und original verkork(s)t von Pahlgruber & Söhne!")*******.
Die Kesselwagen und traditionellen Fasswagen kamen von heute auf morgen außer Dienst und wurden abgestellt. Später sollten die hölzernen Fässer zwar eine wichtige Rolle beim Wiedererstarken so mancher schottischer Whiskydestille spielen, doch in den Weinexport kamen nun ausschließlich versiegelte Flaschenabfüllungen, die in normalen Güterwagen transportiert werden konnten.
Ein paar österreichische und pfälzische Winzer lernten aus dieser Geschichte wenig und panschten bis 1985 munter weiter sogar Frostschutzmittel in ihren Wein.********
Foto: Eine französische Lok Serie 040 D zieht einen Weinzug mit verschiedenen Fasswagen aus Cavembourg. Selbst ins Weinland Frankreich exportierte man hektoliterweise Cavembourger. Foto von 1920. Foto von nilkram
Foto: Manche Weingüter hatten sogar eigene Kleinlokomotiven. Hier eine Dampfspeicherlok eines Weingutes, die traditionelle Fasswagen aus Montcave bewegt. Das Foto stammt aus den 1970ern.
Foto oben: Bis 1982 konnte man Weinzüge wie diesen aus Cavembourg beobachten. Eine belgische Diesellok der Serie 55 mit modernen Weinkesselwagen am Haken
Foto: Ein Fasswagen aus Holz für den Montcave (links) und ein moderner Kesselwagen für den Clos Cavembourg.
Heute hat man sich von diesem Schock erholt. Die Clos Cavembourg sind ein streng kontrolliertes Qualitätsprodukt und der Royal Premier Grand Cru aus Montcave zu einem absoluten Luxusgut avanciert. Während das Bordelais gegenwärtig durch Pestizide in seinen Weinen Schlagzeilen macht, kann der Cavembourger auf seine strengen Grenzwerte verweisen. Er war bereits "Biowein", bevor es diesen Ausdruck überhaupt gab.
Die Preise für einen Montcave erreichen derweil astronomischen Höhen. Eine Flasche Royal Premier Cru 2017 kostet im Handel ab 500 €, der Spitzenjahrgang 2015 sogar mehr als das fünffache und sie werden fast unbezahlbar, je älter sie werden. Auch die Zweitweine erreichen oft dreistellige Summen und liegen damit in einer Preisklasse noch oberhalb von Rothschilds Lafite, der nach seinem plötzlichen Tod schließlich eine beträchtliche Sammlung feinster Montcaveweine in seinen Kellern vererbt hatte...
Foto: Als nahezu unbezahlbar gilt heute die erste originale Flaschenabfüllung eines Montcave von 1983. Es gibt nur noch wenige Flaschen davon.
Foto: Die schottische Whisky-Brennerei Ardbeg kaufte 1989 im Vorfeld ihrer Wiedereröffnung viele der ausrangierten cavembourgischen Fasswagen auf, um die Holzfässer zur Lagerung und Reifung ihres Whiskys zu verwenden. Foto: wikipedia
Foto: Chateau Lafit. Ob in den Kellern heute noch Montcave lagert? Foto: wikipedia
*Das Delmonico´s Restaurant war eines der ersten Restaurants in den USA. 1827 als Café eröffnet, musste es 1923 wegen der Prohibition schließen. Heute existiert zwar ein gleichnamiges Restaurant, das sich aus Marketinggründen auf dessen Geschichte bezieht, aber mit dem ursprünglichen Delmonicos nichts gemein hat.
**Die Shelby Company Ltd. ist ein fiktives Unternehmen aus der Netflix-Serie "Peaky Blinders". Die Serie handelt von einer Gipsy-Familie in Birmingham in den 1920ern, die mit Wettgeschäften, Waffenhandel und schließlich Alkoholschmuggel in die USA wohlhabend wird. Auch wenn ich nur die ersten drei Staffeln für (mässig) gelungen halte, besticht die Serie durch ihren Soundtrack mit Songs von Nick Cave, dem Hauptdarsteller Cillian Murphy und der exzessiven Gewaltdarstellung. Außerdem passt es so schön in diese Geschichte.
***ACHTUNG SPOILER: In der Serie "Peaky Blinders" arbeitet die Shelby Company Ltd. auch mit der Mafiaorganisation von Al Capone in Chicago zusammen.
****An dieser Stelle kommt das diesjährige Wichtelgeschenk für den Nutzer Ralf1968 aus dem Stummiforum ins Spiel. Ralf hat eine US-Anlage in Spurgröße N (ich nutze Spur H0). Weil ich das wieder in die Geschichte einbauen wollte, ist die ganze Amerikaidee entstanden. Zusammen mit dem Abfüll-Diorama gibt es einen passenden US-Tankwagen.
*****Königin Delane von Trix ist die Tochter von Königin Siegfriede I. und ihrem Geliebten xxx .... das wird erst etwas später enthüllt!
******Mehrere Kapitel der Geschichte aus Cavembourg befassen sich mit Benjamin Grottler. Er ist in Cavembourg geboren, der Liebe nach Österreich gefolgt (dort wurde sein gebürtiger Name "von Cavembourg" nach dem Anschluss Österreichs ins Dt. Reich zu "Grottler" eingedeutscht) und Bahnbeamter geworden. Im 2. Weltkrieg schloss er sich dem Widerstand der österreichischen Eisenbahner an. Ihm und seiner Gruppe gelangen einige spektakulären Sabotageaktionen, wie die Sprengung der Achbrücke in Reuthin (Vorarlberg) oder der Diebstahl einer schweren Güterzuglokomotive der Wehrmacht. Nach dem Krieg ging er in die Politik, wo er schließlich Verkehrsminister unter Kreisky war.
*******Zur Weihnachtszeit empfiehlt sich immer Loriots "Weihnachten bei Hoppenstedts"!
********Kleine Hommage an den ersten Lebensmittelskandal, den ich bewußt erlebte. Ich fand es als heranwachsender Nochnichtweintrinker bestürzend und abartig, wie Leute Flüssigkeiten, die eigentlich für Autos gedacht waren, in Lebensmittel schütten konnten. Das hat mein Misstrauen gegenüber der Lebensmittelindustrie nachhaltig geprägt und wird bis heute mehr oder weniger erfolgreich verdrängt.
Und ab nächster Woche geht es dann weiter in die Jahre der deutschen Besatzung: 1940 - 1944
Bis bald!
gregor