Ein ganz besonders Spannungsfeld ist auch das Verhältnis von Eisenbahn und Film - und es ist uralt. Einer der ersten öffentlich aufgeführten Filme, gedreht 1896 von den Gebrüdern Lumière, zeigt einen fahrenden Zug. Und wie die Chronisten zu berichten wissen sprangen bei der Vorführung Zuschauer auf um sich vor dem fahrenden Zug in Sicherheit zu bringen, wiewohl sie bei einem echten Zug ruhig am Bahnsteig stehend dessen Einfahrt abgewartet hätten. Zug und Film hatten sich gefunden.
Über Züge auf Celluloid gibt es eine eigene Datenbank: www.eisenbahn-im-film.de umfasst mittlerweile über 1800 Eisenbahnfilme. Bis heute bedienen sich nicht wenige Kinowerke des dahinrasenden Zuges als Synonym für den unaufhaltsamen Gang der Ereignisse. Zu dieser Kategorie zähle ich z.B. einen so hervorragend gemachten Eisenbahnfilm wie z.B. "Runaway train", zu dem auch Akira Kurosawa eine Drehbuchvorlage beigesteuert hatte. Es gibt Filme über Geschichte und Filme, die Geschichte machten. Muss man über Buster Keatons General (1926), der die Ereignisse des Andrews-Überfalles von 1862 aufgreift, überhaupt noch Worte machen? Oder ein Werk wie "Zug des Lebens" das zeigt, wie ein Dorf osteuropäischer Juden sich selbst mit dem Zug deportiert um dem Holocaust zu entgehen - und man erschrickt ob der eigenen Lacher. Unvergessen auch "Trans Amerika Express" (1976), in dessen legendärer Schlussszene - ohne irgendwelche Computertricks, sowas gab's damals noch nicht - eine Diesellok den "Hauptbahnhof von Chicago" zu Schutt verwandelt.
Denken wir auch an die Beiträge der Franzosen zur Geschichte des Eisenbahnfilms. Jean Renoirs "Bestie Mensch" von 1938 - kaum wurde die Atmosphäre des Arbeitsplatzes "Dampflok" besser eingefangen. "La bataille sur rail" mit einer Schlussszene nicht weniger bemerkenswert als die des "Trans America Express", der unsägliche Zeit unglaublich fesselnd nahezubringen vermag.
Und dann gibt es noch die Kategorie der schwer Erträglichen; Filme in denen die Eisenbahn - auch sichtbar für Jenen der nur sehr wenig von ihr versteht - auf eine Karikatur ihrer selbst zusammengedampft wird. Der "Lawinenexpress" von 1978 mit Lee Marvin und "Hotte" Horst Buchholz beispielsweise, in dem man - unbeeindruckt von solchen Details wie Hochspannung und Oberleitung - problemlos per Strickleiter vom Hubschrauber aus auf das Dach fahrender Züge wechseln kann. Und Jean Reno fliegt dem im TGV sitzenden Tom Cruise in "Mission Impossible" mit dem Helikopter im Kanaltunnel hinterher, da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich.
Oftmals standen und stehen Filmemacher vor dem Problem, dass man weder an Originalschauplätzen drehen kann noch Rollmaterial aus der fraglichen Zeit zur Verfügung steht. Dann wird eben - in der Hoffnung, dass nicht allzuviele Kenner der Materie "Bahn" im Kino sitzen - ein bisschen gemogelt; und diejenigen, denen es auffällt, mögen die Augen zudrücken und die Kompromisse großzügig verzeihen. So fährt Omar Sharif alias Doktor Schiwago mit der Eisenbahn zwar in Russland, Finnland und Kanada, aber keinen einzigen Meter in Russland herum - ja mein Gott, wie hätten sie's denn auch drehen sollen? Unsere geliebte V200 050 mutiert 1966 für "Die Gentlemen bitten zur Kasse" zur Britin - was angesichts der Tatsache dass zu jener Zeit die V200-Derivate der "Warship"-Klasse in britischen Diensten standen ja gar nicht einmal soooooooo falsch ist. Und für die im wilden Osten gedrehten Western wurde kurzerhand die 89 6225 zur Prairielok (womit nicht die Achsfolge gemeint sei) umgebaut.
"Mein Name ist Bond - James Bond" ist wohl eines der berühmtesten Zitate der Filmgeschichte und gleichzeitig das Oeuvre für die erfolgreichste Kinoserie aller Zeiten. Als 1982 der Dreh zu "Octopussy" anstand, befand sich Regisseur John Glen in einem ähnlichen Dilemma. Eine entscheidende Szene des Films - die Fahrt des Zirkuszuges durch die DDR gen Bundesrepublik - spielt im Herzen Deutschlands; logischerweise brauchte man für die in England stattfindenden Dreharbeiten deutsches Ambiente und deutsches Rollmaterial. Woher nehmen, und nicht stehlen?
Die Aufmerksamkeit richtete sich schnell auf die Nene Valley Railway, die nicht nur über ein kontinentales Lichtraumprofil, sondern auch Rollmaterial aus diversen europäischen Ländern verfügte - und sogar deutsche Dampflokomotiven: Die 80 014 und die 64 305.
Allerdings erschien wohl die Aufarbeitung auch nur einer dieser Maschinen für den Film zu aufwändig. So fiel die Entscheidung, die dänische S740 mittels Farbe und Nummernschildern zu "germanisieren" und zur - ausgerechnet! - "62 015" der DR zu machen. Dem deutschen Bahnfreund grausets, aber immerhin konnte man so eine Dampflok vom Kontinent anbieten. Außerdem fiel auch noch die schwedische S-1 als "74 750" der Eindeutschungswut der Filmemacher zum Opfer, sodass nun - nach Auffassung der Verantwortlichen - zusammen mit ein paar umlackierten Wagen und den üblichen Bahnsteigrequisiten für ausreichend ostzonales Ambiente gesorgt war.
Naja, ich hätte einen anderen Weg gewählt. Der Inbegriff ostdeutscher Dampfherrlichkeit, wegen der auch unzählige Eisenbahnfreunde aus dem Westen in die DDR pilgerten, waren die "großohrigen" Altbau-01er der DR. Eine Pazifik-Schlepptenderdampflok mit großen Blechen hatte damals auch die Nene Valley Railway in ihrem Bestand, die "Britannia" 70000. Ein bisschen Noire hier, ein bisschen Rouge da, eine Laterne hier, ein Nummernschild da - sieht doch fast aus wie die "echte" 01 005! Oder?
Quelle: commons.wikipedia.org
Die "Britannia" taugte in jedem Fall besser als 01-Double denn die DSB-Lok als "62 015" - da stimmt ja nichtmal die Achsfolge! Und hat nicht Märklin schon 1937, gewissermaßen die phänotypischen Parallelen der beiden Typen ausnutzend, das Modell der 01 als "HR800LMS" bzw. "HR800LNER" mit viel Farbe britisiert? Stimmige Achsfolge, große Bleche und Schlepptender als Wiedererkennungsfaktoren - reicht doch! (Anm. d.Verf.: Gresleys A3 hatten damals gar keine "Ohren", die bekamen erst nach dem 2. Weltkrieg Witte-Bleche. Die "Duchess"- und "Coronation"-Pacifics waren damals alle noch stromlinienverkleidet, ebenso wie Bulleids Maschinen der "Merchant Navy"- bzw. "West Country"-Class, welche 1941 erschienen und ihr "Britannia"-ähnliches Äußeres anlässlich des Umbaues um 1957 herum, also fast 20 Jahre nach der Fertigung der Märklin-Loks bekamen. Die "A1" Peppercorns wurde erst 1947 gebaut und die "Britannia"-Klasse abermals vier Jahre später - welche britische Type sollte bitteschön eine HR800 1937 im Modell eigentlich darstellen???)
Und noch weniger Farbe hätte es bedurft, um für die Szene mit dem Gegenzug in der Bond'schen Verfolgungsjagd zu einer weiteren "Reichsbahndampflok" zu kommen, blieben doch in England etliche schwarz lackierte 1'E-Lokomotiven der Klasse 9F museal erhalten. Etwas Rot, zwei Loklaternen und ein Satz Nummernschilder - und fertig ist unsere "44 1489"!
Quelle: commons.wikipedia.org
Ach kommt schon, seid nicht so kritisch! Minitrix hat auch schon vor Jahrzehnten die "Britannia" auf dem Fahrgestell der 01 und die 9F auf dem der 52er realisiert! Ich finde, dass ist die flotteste 44er die ich je gesehen habe. "Flott" in jeder Hinsicht - fuhren doch die Briten mit der 9F bei gerademal 1,52m Kuppelraddurchmesser (das ist ziemlich genau der Wert der 58.2 bis zu 145km/h! Man übertrage die dabei aufgetretenen Kolbengeschwindigkeiten einmal rechnerisch auf das 05-Triebwerk mit seinen 2,30m-Rädern - da kriegt der ICE das Muffensausen... Die Legende sagt dass der todesmutige Fahrensmann, der mit seiner 9F vor dem "Flying Scotsman" die 145km/h erreicht hat auf diesen Höllenritt angesprochen meinte, es wäre schon noch etwas mehr gegangen - er wollte nur diese verdammte Schallmauer nicht kaputt machen...
Zu guter Letzt lösen wir noch das Wagenproblem, indem wir einigen grünen britischen Schnellzugwagen ein DR-Emblem aufpappen und sie zu sächsischen Abteilwagen erklären. Und schon kann der Geheimagent ihrer Majestät mitten in England bei den Dreharbeiten munter auf optisch stimmigen Garnituren der DR-Ost rumturnen.
Eine Bemerkung sei mir noch gestattet: Die Inspiration, englische Lokomotiven optisch zu verdeutschen erreichte mich aus einer ganz anderen Ecke. In einem uralten Jugendbuch (es mag das "Neue Universum" gewesen sein, möglicherweise sogar eine Vorkriegsausgabe), das von einem netten Menschen auch im HistFor auf Drehscheibe-Online vorgestellt wurde, ist ein Beitrag über die Eisenbahn mit Bildern britischer Dampflokomotiven illustriert; ich meine mich an drei Gresley-A3s vor King's Cross zu erinnern. Da deutschen Jungens aber die Erstbegegnung mit dem Thema "Eisenbahn" damals anscheinend nicht anhand britischer Bahnen zuzumuten war, wurden die Lokomotiven allesamt mittels Retusche "germanisiert". Leider habe ich dieses Stück Zeitgeschichte auch nach langer Suche und Recherche nicht wiedergefunden. Wer aber weiß, welches Buch bzw. welchen DSO-Artikel ich meine ist herzlich aufgefordert, uns aus den Tiefen der Unwissenheit mittels eines Links zu erlösen...!
Grüße!
Christian