Hallo Leute,
ich bin mir nicht sicher, ob ich hier in der richtigen Rubrik gestrandet bin... aber ich möchte mit diesem Beitrag (wie in Pont de Syam versprochen) meine selbstentwickelte Funk-Digitalsteuerung "zbus" vorstellen.
Einleitung
zbus ist eine auf neuen Technologien basierte (wie man so schön sagt) innovative Modelleisenbahnsteuerung, welche alternative Wege geht, völlig abseits bekannter Pfade: Die klassischen schienengebundenen Digitalsysteme mit Booster, die separaten Steuer- und Rückmeldebussysteme für die fixen Installationen, die Digitalzentralen, und die Programmiergeräte, die werden alle über den Haufen geworfen...! Statt dessen gibt es nur noch ein einziges 2.4GHz Funknetzwerk, ein sogenanntes WPAN (wireless personal area network). Basierend auf dem Standard IEEE 802.15.4 vernetzt dieses alle verteilten kleinen Kontroller, in den Loks, auf der Anlage und am Computer.
Dies vereinfacht die Hardware massiv, da kein Booster, keine Datenbusverkabelung und keine Digitalzentrale mehr notwendig sind. Stattdessen wird ein Gateway z.B. in Form eines USB-Sticks in den Computer gesteckt, und die Gleise werden einfach mit Gleichstrom 16V gespiesen. Und schon können wir mit allen unseren kleinen Kontroller im WPAN kommunizieren. zbus erlaubt speziell mit den Loks ganz neue Möglichkeiten: Während der Fahrt können beliebige Informationen aus der Lok gelesen werden. So kann man reelle Geschwindigkeit, gefahrene Streckendistanz, Motorenleistung, Zugsicherung (Indusi), Speisespannung und und und... erfassen.
Die erste zbus Prototyplok (SBB Bm 4/4) erhielt den Übernamen "Das Ungeheuer"
Damit kann man ganz neue Funktionalität anbieten: präzise Positionierung der Züge, punktförmige Zugbeeinflussung mit Quittierung vom Lokführer (wie beim Vorbild), Zeit-Weg-Sicherheitsfahrschaltung/Totmann, Analyse des elektrischen Kontaktes resp. des Verschmutzungsgrades einer Bahnstrecke, Analyse der Antriebsqualität und Laufruhe der Lok, Analyse der Kommunikation-Empfangsqualität, Kräfteausgleich bei Doppeltraktion, Statistik der gefahrenen Zugkilometer und und und...
Der noch etwas zu grosse Lokkontroller Version 1.0 in einer Re 4/4 II, mit Stützakku
Ok, momentan ist diese noch in Entwicklung. Ich habe mich bis jetzt vorallem mit der wireless Kommunikation, Diagnosemöglichkeiten, Firmware-Update über Funk, und dem Lokkontroller (Lokdecoder) beschäftigt. Also Mehrzugbetrieb, Superlangsamfahreigenschaften und sanfte Doppeltraktion ist bereits vorhanden. Hingegen die Anlagensteuerung, Stellwerk, Weichen- und Signalsteuerung steht noch auf der Warteliste. Aber auch diese werden auf derselben Architektur basieren, also auch mit kleinen wireless Kontrollern. Somit reduziert sich die globale Verkabelung auf die Speisung der Schienen.
Lokkontroller
Die Lokkontroller-Hardware ist bereits so miniaturisiert, dass er auch in die Loks der Spurweite H0 reinpasst. Die Motorsteuerung weist eine Sensor-lose Geschwindigkeitsregelung (Lastregelung) auf. Dies ergibt schon mal gleichmässiges Fahrverhalten und gute Langsamfahreigenschaften. zbus geht mit seiner adaptiven Motorenregelung einen Schritt weiter. Nebst der Geschwindigkeit sind auch PWM-Frequenz, PID Parameter mittels Kurven parametrisierbar. Damit kann man die Motorenregelung für alle Geschwindigkeitsbereiche voll optimieren. Also super-optimiertes Langsamfahrverhalten bei extrem kleinen Geschwindigkeiten unterhalb 1mm/s, und gleichzeitig optimales Fahrverhalten bei mittlerer und hoher Geschwindigkeit, und dies individuell für beide Fahrrichtungen. Die Übergänge von einem Parameterset zum anderen sind sanft und stufenlos. Die Einheit der Geschwindigkeit ist justierbar, und sollte auf 0.1mm/s gesetzt werden. Die Auflösung der Geschwindigkeit der Motorenregelung ist kleiner als ein tausendstel der vollen Motorgeschwindigkeit, somit ist die Anzahl Geschwindigkeitsstufen der Lok kein Thema mehr, es ist quasi stufenlos.
Der aktuelle Lokkontroller Version 1.1 hat bereits konkurrenzfähige Dimensionen.
Die PWM-Frequenz Kurvenanpassung erlaubt ein stufenweises aber sanftes Wechseln der PWM-Frequenz während der Fahrt. Sehr niederfrequentes pulsierendes (für extrem langsames Fahren) wie auch hochfrequentes unhörbares PWM (für mittlere und hohe Geschwindigkeiten) ist damit möglich.
Durch die Möglichkeit, beliebige Motorenmesswerte während der Fahrt zurückzulesen, öffnet sich die Tür für neue Funktionen: Reelle Geschwindigkeit und gefahrene Distanz der Lok können erfasst werden, zum Beispiel als Hilfe für die exakte Positionierung des Zuges. Mit Informationen über Drehmoment und Leistung des Motors kann die Bahnstreckenreibung und -steigung ermittelt werden. Mit Informationen über Geschwindigkeitsvariation kann die PID-Regelung optimiert werden, zum Beispiel per Autotuning. Mit Informationen über Speisespannung und Distanz kann die Qualität des Schienenkontaktes einer Bahnstrecke erfasst werden (Verschmutzungsgrad). Mit Informationen über Drehmoment kann das Gewicht des Zuges erfasst werden. Mit Informationen der Strecke können Zugsicherungsfunktionen wie beim Vorbild in Abhängigkeit der gefahrenen Strecke gemacht werden (zum Beispiel Totmann). Mit Informationen über Drehmoment kann die Kupplungs- und Entkupplungssequenz des Zuges optimiert werden, weil die Lok fühlt, wann sie den Zug stösst.
Erste Tests mit dem SBB Krokodil.
Neben der Geschwindigkeitsregelung ist auch eine Strombegrenzung respektive eine Stromregelung eingebaut, welche kombiniert oder individuell in Aktion treten kann. Damit lassen sich vor allem bei mittleren und höheren Geschwindigkeiten reales Verhalten bezüglich der abgegebenen Leistung simulieren, also bei Bergfahrt langsamer werdend und bei Talfahrt schneller werdend.
Eine ganz interessante (aus der Stromregelung abgeleitete) Betriebsart ist der Reibungskompensationsmodus. Die Lok verhält sich hier wie passiv, dreht die Räder immer so schnell wie sie gestossen oder gezogen wird. Man könnte meinen, sie habe kein selbsthemmendes Getriebe, also wie wenn sie nur Laufachsen aufweisen würde. Das interessante an dieser Betriebsart ist, dass sie das Tor zu Doppeltraktion und Mehrfachtraktion eröffnet. Und zwar in allen bei Modelleisenbahn als für unmöglich gehaltenen Varianten (!), wie eine zusätzliche Lok in Zugmitte, oder eine scheinbar stossende zusätzliche Lok am Zugschluss. Dadurch, dass sie ganz passiv ist und somit keine grossen Kräfte ausübt, besteht auch nicht die Gefahr, dass die dazwischen liegenden Wagen entgleisen. Funktioniert auch hervorragend in engen Kurven und auf steilen Rampen.
Der Lokkontroller verfügt über ein eigenes Powermanagement, welches die Verwendung eines Stütz-Akkus oder -kondensators unterstützt (mit Ladezustandsmessung und Tiefentladungsschutz). Dies macht die Lok extrem robust gegen schlechtem Schienenkontakt, was vor allem bei extremer Langsamfahrt bemerkbar wird. Die Herzpolarisierung aller Weichen kann dadurch theoretisch eingespart werden, die Lok fährt locker über diese kurzen kontaktlosen Streckenabschnitte. Hebt man eine Lok während der Fahrt aus den Schienen, drehen die Räder also noch ein paar Sekunden weiter...
Dank der Funkübertragung bleibt die Kommunikationsverbindung zum Gateway auch dann erhalten, wenn der Schienenkontakt unterbrochen wurde. Das heisst, die Lok ist fähig Schienenkontaktverlust zu melden. Die Lok kann mit Hilfe der Schienenkontakt-Information betriebssicher parkieren, das heisst, falls nötig wenige Millimeter weiter fahren, um nicht zufällig auf einem Kontaktunterbruch zu halten.
Einbau des Lokkontrollers Version 1.1 in das Krokodil Ce 6/8 II.
Natürlich fehlen auch die Funktionausgänge und -eingänge nicht. Es gibt sie für analoge und digitale Werte. Diverse Timings sind steuerbar, Blinklicht, Einzelpuls, Dimmer (optional auch Speisespannungs-kompensiert).
Eine der ganz neuen Möglichkeiten ist die Zugsicherung. Es handelt sich um die klassische Sicherheitsfunktion der punktförmigen Zugbeeinflussung (in der Schweiz Integra/Signum, in Deutschland Indusi). Die Lok empfängt fahrrichtungsabhängig die Informationen der Streckensignale, ok/warnung/halt. Diese kann z.B. eine Führerstandsapplikation aus der Lok lesen. Die Lok erwartet z.B. bei Warnung eine Quittierung des Lokführers. Falls diese nach einer bestimmten Zeit nicht eintritt, löst die Lok selber einen Nothalt aus (wie beim Vorbild). Die Übertragung der Streckensignalinformation (also die Zugsicherungsbalisen) geschieht über Infrarot (Sendediode am Gleis, Empfängertransistor unter der Lok).
Die hier erwähnten neuen Funktionen und Möglichkeiten, sind erst mal nur einen ersten Schritt. Das Potential der Möglichkeiten, welche eine bidirektionale wireless Kommunikation auf einer Lok erlaubt, ist noch lange nicht ausgeschöpft.
Eine schon etwas ältere Präsentation von zbus
Perspektiven
Habe auch hier im Forum über Bemühungen, einen Opensource-Lokdecoder zu kreieren, gelesen. Diese haben aber einen ganz anderen Anspruch als zbus. zbus ist zu keinem bestehenden Digitalsystem kompatibel (noch zum Analogbetrieb). zbus geht andere Wege.
Ich weiss noch nicht, wo dieses Abenteuer hinführen soll. Es fehlen noch wesentliche Teile einer Modelleisenbahnsteuerung:
- Steuerung der Gleisanlagen (Weichen, Belegtmelder, Signale...)
- ansprechende Applikation(en) auf dem PC (momentan sind nur einfache und schlichte Konsolen-basierte Applikationen vorhanden)
- Anbindung an bestehende Systeme (z.B. srcp Gateway)
Bei Interesse "draussen in der Welt" würde ich gerne aus zbus ein Opensource-Projekt machen. Und zwar für alle Komponenten: Hardware, Firmware, PC-Software und jegliche Dokumentation. Momentan läuft zbus einzig auf meiner Anlage "zuhause in der Scheune".
Ich freue mich schon auf Euren Feedback!
Viele Grüsse!
oli4