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Der Fluch der Akribik, Teil 199
EIN G10 AUS GRAUER VORZEIT
Ihr erinnert euch an diesen hübschen grauen, mit „BB Österreich“ beschrifteten G10?
Nun, an diesem Wagen ist alles falsch.
Nein, nicht die Farbe oder die Beschriftung. Den BB Österreich G79 187 gab es nämlich wirklich, und er war mit hoher Wahrscheinlichkeit noch nach 1950 grau gestrichen.
Aber er hatte keine Endfeldverstärkungen und nicht vier Rangierertritte und vier Signalhalter, sondern nur je zwei auf nur einer Stirnseite. Auf der Stirnseite mit den Tritten hatte er nicht einen Griff auf jeder Seite, sondern zwei übereinander, die oberen schräg nach innen gerichtet. Die Griffe, Signalhalter und Türverschlüsse waren nicht schwarz, sondern grau. Wie die selbsternannten Experten sagen würden: ein völlig vorbildwidriges Modell. Unbrauchbar. Frei erfunden. Die alten Piko-Wagen waren da viel besser. Oder so ähnlich…
Spaß beiseite: Was an diesem Wagen tatsächlich nicht stimmt, ist meiner Meinung nach ausschließlich die Nummer, und dass ihn manche Händler als Epoche II-Modell anpriesen.
In die Epoche II gehört er sicher nicht, denn die Revisionsdaten auf dem Langträger sind korrekt und stammen, wie ein mir vorliegendes Foto des "echten" G79 187 ex Kassel zeigt, aus den 50er Jahren.
Man kann davon ausgehen, dass es verlässlichen Zeitzeugenberichten zufolge nach 1945 zahlreiche weitere graue Güterwagen bei den ÖBB gab. Darunter sicherlich auch etliche G10, die – bis auf die Nummer - exakt so aussahen, wie das Brawa-Modell. Daher bleibt der Wagen in meiner Sammlung und über die so gesehen "falsche" Nummer sehe ich fröhlich hinweg. Wenn mir nichts Schlimmeres zustößt im Leben…
So sieht er jetzt aus:
Das Dach wurde dem Vorbildfoto entsprechend ganz hell und mit geringen Rußspuren gestaltet. Der Wagenkasten und das Fahrgestell wurden je zweimal neu gestrichen. Das Grau des Wagenkastens mixte ich aus Revell 36157 (RAL 7000) und Schwarz. Ein Glücksgriff, denn ich traf den von Brawa vorgegebenen Farbton nach nur dreimaligem Verändern des Mischungsverhältnisses so perfekt, dass ich nur noch am Glanzgrad zu unterscheiden vermochte, wo ich den Wagen schon gestrichen hatte, und wo noch nicht. Weiß allerdings der Kuckuck, ob der Brawa-Farbton stimmt. Auf dem Foto sieht der Wagenkasten viel heller aus - an nicht direkt von der Sonne beschienenen Stellen eher wie RAL 7040.
Das Fahrgestell wurde mit Teerschwarz (Revell 36106) gestrichen und anschließend mit dem Pinsel dezent „gealtert“. Abschließend erhielten Fahrgestell und die ansonsten unbehandelte Unterkante des Wagenkastens etwas Flugrost – wie immer echten, feinst zerstoßenen hellen Rost.
Fertig, ab in den endgültigen Fuhrpark.
Es gab nach dem Krieg übrigens nicht nur graue G10, sondern auch graue Wagen anderer Gattungen. Bisher sind mir außer dem G79 187 noch folgende fotografisch belegte graue Güterwagen bekannt:
G74 193 – ein weiterer G10 Kassel, den Brawa nachbildete. Das Vorbild hatte allerdings, anders als das Brawa-Modell, ein „kurzes“, nicht über das Dach ragendes Bremserhaus. Die Fenster dieses Bremserhauses waren zumindest vorne und seitlich mit Brettern verschlossen.
Grs 18 381, ein ehemaliger „Oppeln“
Ommu 836, ehemals „Klagenfurt“
Ol 620957 oder 967, ein ehemaliger Bretterwagen österreichischer Herkunft. Bei diesem Wagen war 1955 das zweite Feld von links braun überstrichen und er trug dort bereits die Aufschrift „ÖBB“.
Darüber hinaus gibt es in den Weiten des Internets Fotos von nach dem Krieg in Österreich gebauten Schwerlast- und Tiefladewagen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit grau lackiert wurden.
Hier beispielhaft ein Foto des oben erwähnten grauen "Klagenfurt" (Foto: ehem. Archiv der ÖBB, Slg. Daxbeck, Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Thomas Daxbeck):
Man beachte die ungewöhnliche Anordnung der Diagonalprofile.
Auf den erwähnten Fotos – ausgenommen das des Bretterwagens – sind Revisionsdaten erkennbar, die sich auf den Zeitraum September bis Dezember 1950 eingrenzen lassen. - Auf dem Bild des Omm wirkt die Beschriftung übrigens unvollständig und unfertig:
So, als hätte man diesen Wagen eilig für eine kurzfristig angesetzte Präsentation fotografiert. Anfänglich habe ich dieses Grau deshalb als eine Art Fotografieranstrich missverstanden.
Abschließend sei festgehalten, dass meine Notizen zur "Grauen Periode" der ÖBB sicherlich sehr unvollständig sind. Ergänzungen sind gerne willkommen.
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@ Aristides: Vielen Dank für die Ergänzung - die Wikipedia geht bei diesem Thema nicht sehr ins Detail.
Liebe Grüße
Euer Karl