„Sie sind nicht barrierefrei!“
„Der letzte Rest Reisekultur mit offenem Fenster!“
„Die Einstiege sind steil und schmal, außerdem klemmen die Türen immer!“
„Es sind wenigstens noch anständige Sitzbänke!“
So oder so ähnlich klingen die Aussagen, die sich Liebhaber und Gegner der legendären n-Wagen gegenseitig an den Kopf werfen. Heute widme ich mich einem ihrer Vertreter, denn sie sind klar auf dem Rückzug: Die n-Wagen mit Übersetzfenstern, die zur Abgrenzung zu den Doppelstockwagen auch von DB Regio selbst Flachwagen genannt werden.
Seit 1958 verkehren sie durch ganz Deutschland und prägten so die Sicht vieler Generationen auf die Eisenbahn. Der älteste n-Wagen, der mir jemals begegnet ist, wurde 1965 gebaut und war zum Zeitpunkt der Sichtung 52 Jahre alt. Dieser Wagen hat damit sieben Bundeskanzler und unzählige Verkehrsminister erlebt.
Der Bnrdzf 483.1 wurde bei DB Regio Südbaden vor allem in RB-Zügen zwischen Offenburg und Basel eingesetzt. (Bild: Andreas Hackenjos)
Ich versuche mich bei der Wagenvorstellung eben an einen Vertreter der n-Wagen, wohlwissend, dass es besonders schwer werden wird, ihm gerecht zu werden. Denn: Die Vielfalt bei den n-Wagen ist unvorstellbar groß, selbst wenn zwei Wagen derselben Unterbauart angehören, können sie höchst unterschiedlich sein.
Das liegt erstens daran, dass die n-Wagen 20 Jahre lang gebaut wurden, da setzen sich tatsächlich Neuerungen durch. Zum anderen wurden die n-Wagen nicht nur klassisch bei Wagenherstellern produziert, sondern auch von den Ausbesserungswerken (AW) der Deutschen Bundesbahn, die sich oft an älteren Wagen bedienten. Am bekanntesten dürfte das ehemalige AW Karlsruhe sein, denn hier wurde sogenannte "Karlsruher Kopf" entwickelt oder der Karlsruher Versuchszug auf die Beine, oder besser gesagt Schiene, gestellt.
Auch für den Fahrgast wurde die Vielfalt wahrnehmbar. Die n-Wagen wurden, je nach Baujahr, mit Gestaltungen verschiedener Büros ausgestattet. Die Originalausstattung mit querliegenden Gepäckablagen wurde schnell aufgegeben. In meinen Augen ist die Gestaltung von Fervet die schönste, von dem (Stand: heute) nur noch ein Wagen unterwegs ist.
D-DB 50 80 22-34 095-6 oder auch der letzte n-Wagen in der Fervet-Gestaltung.
Im direkten Vergleich ein Doppelstockwagen (DBpbzfa 765.1) mit Sitzen von Kiel.
Generell wurde die Vielfalt der n-Wagen nicht kleiner, vielmehr steigerte sie sich sogar: Es wurde experimentiert oder es wurden Projekte ins Leben gerufen, für die Linie Stuttgart - Aalen wurden die n-Wagen umgebaut, die Citybahn nach Köln dürfte dagegen bekannter sein und auch in jüngerer Vergangenheit wurden n-Wagen noch umgebaut, zur Jahrtausendwende wurden die in Kiel beheimateten n-Wagen einem Umbauprogramm (SH99 DBM) unterzogen, das nicht nur eine neue Innenausstattung mit neuen Sitzen und einem Fahrgastinformationssystem vorsah, sondern auch der Einbau anderer Drehgestelle vorsah. Der Höhepunkt bzw. Ausgeburt dürfte das „hässliche Entlein“ sein.
Der Karlsruher Kopf mit Gepäckabteil: Auch eine Seltenheit. (Foto: Andreas Hackenjos)
Bei n-Wagen sind vor allem drei Köpfe bekannt geworden: Der Hasenkasten, der Karlsruher Kopf und der Wittenberger; ab 1997 wurden viele BDnrzf 740 (Karlsruher Kopf) mit einem Wittenberger Kopf umgebaut, um neuen Bedürfnissen gerecht zu werden. Der Führerstand entspricht dem ergonomischen Einheitsführerstand, außerdem sind die Wittenberger stets mit ZWS ausgestattet und können so mit modernen Loks verkehren, was dem Karlsruher Kopf mit seiner KWS verwehrt blieb. Außerdem konnte man beim Karlsruher Kopf nur bedingt die Traktion wechseln, da es beim Karlsruher Kopf für Diesel- und E-Loks zwei verschiedene Führertische gab. Außerdem erhielten die Wittenberger eine neue Innenausstattung, entweder die grüne OFV-Gestaltung und bei jüngeren Wittenbergern auch die blaue DBM-Gestaltung, beide Varianten stets mit Glastrennwänden.
Allgemein kamen drei Drehgestell-Arten beim n-Wagen zum Einsatz. Ursprünglich das Minden-Deutz-42-Drehgestell, das noch mit einer Lichtmaschine und Klotzbremsen ausgestattet war. Die Lichtmaschine war für die Beleuchtung notwendig, denn damals kamen noch sehr häufig Loks vor den Zügen zum Einsatz, die keine elektrische Versorgung der Wagen ermöglichten. Sehr früh wurden bereits modifizierte Drehgestelle des Typs Minden-Deutz 43 verwendet, dieses hatte eine keine Lichtmaschine mehr, stattdessen hatte das Drehgestell Scheibenbremsen. Durch das Entfernen der Lichtmaschine konnte die Geschwindigkeit auf 140 km/h angehoben werden, wobei eine rein klotzgebremste Garnitur nicht die für 140 km/h notwendige Bremsleistung aufbrachte. Bei den besagten Kieler n-Wagen wurden nachträglich GP200-Drehgestelle von verschrotteten Reichsbahn-Wagen eingebaut, sie zeichnen sich durch eine höhere Laufruhe aus (was wohl daran liegt, dass die GP200-Drehgestelle konstruktiv für 200 km/h ausgelegt waren).
Dieses Bild entstand am Mannheimer Hauptbahnhof.
Bei der Bundesbahn achtete man seinerseits darauf, dass die Fensteranordnung zum Sitzteiler passt; Wandfensterplätze (klingt wie blinder Seher), die gemischtklassigen ABnrz hatten daher im Bereich der 1. Klasse eine angepasste Fensteranordnung, da man in der 1. Klasse auf Abteile mit mehr Platz gesetzt hat. Beim n-Wagen bestand noch ein recht großer Komfortunterschied zwischen den Klassen, derzeit lässt sich die Tendenz ausmachen, dass die 1. Klasse abgewertet wird; nicht selten besteht der Mehrwert der 1. Klasse nur aus einem andersfarbigen Sitzmuster, außerdem wird der 1.-Klasse-Anteil immer kleiner (der Talent 2 der Gäubahn weist bei 215 Sitzplätzen gerade einmal acht Sitzplätze der 1. Klasse auf)
Doch nun sind die n-Wagen auf dem Rückzug und mit ihm auch die Übersetzfenster, die es dem Fahrgast erlaubten, seine Nase in den Fahrtwind zu strecken. Die Aufgabenträger, die den Nahverkehr organisieren, bestellen und kontrollieren, wünschen aus nachvollziehbaren Gründen barrierefreie, moderne und komfortablere Fahrzeuge. Außerdem sind die jüngsten n-Wagen auch fast 40 Jahre alt. Zeit also, die n-Wagen vorzustellen, bevor sie vollständig von den Schienen zu verschwinden.
Immer seltener möglich: Das Öffnen des Fensters.
Ein Bnrbdzf 480.2 mit Snackautomat und behindertengerechter Ausstattung. Auffallend ist das fehlende Fenster an der zweiten Türe,
ein Relikt des Bnrkz. Außerdem lassen sich die Kuckuckslüfter auf dem Dach sehr gut erkennen, der Fahrtwind erzeugt einen Unterdruck, so dass die Abluft aus dem Fahrgastraum abgeführt wird. (Bild: Andreas Hackenjos)
Die Kieler n-Wagen bilden dabei nicht die einzigen modernisierten Vertreter; insbesondere Wittenberger Steuerwagen wurden, soweit es sinnvoll erschien, umgebaut, um den Ansprüchen zu genügen: So erhielten zahlreiche Wittenberger eine Ausstattung mit SAT: Hintergrund ist der Einsatz gemeinsam mit Doppelstockwagen. N-Wagen haben nur TB0, das bedeutet, dass die Türen bei Fahrt blockiert sind. Steht der Zug, lassen sich die Türen ohne Zutun des Lokführers öffnen und zwar beidseitig. Bei Doppelstockwagen mit automatischer Türöffnung stellt dies ein Sicherheitsrisiko dar, so dass TB0 bei diesen nur in Ausnahmefällen zulässig ist. Durch die Ausstattung mit SAT können die Wittenberger auch vor Doppelstockwagen eingesetzt werden, da mit SAT eine seitenselektive Türfreigabe vorhanden ist, die vom Lokführer aktiviert wird.
Verfügt der Wittenberger Steuerwagen über SAT, so darf er auch mit Doppelstockwagen eingesetzt werden. Hier eine Variante mit nachgerüsteten Schwenkschiebetüren.
Einige Wittenberger erhielten eine fahrzeuggebundene Einstiegshilfe (ausfahrbare Rampe), außerdem automatische Schwenkschiebetüren, die sich per Tastendruck öffnen lassen. Gerade für Fahrgäste, die Probleme haben, die teilweise sehr schwergängigen Drehfalttüren zu öffnen, stellen diese Umbauvarianten eine erhebliche Erleichterung dar.
Grundsätzlich gibt es zwei Bauarten von Wittenberger Steuerwagen auf n-Wagen-Basis, die Bauart 480 und 483. Die Bauart 483 entstand aus Karlsruher Köpfen, hat einen verringerten Türabstand (fünf Fenster dazwischen) und ein größeres Fahrradabteil. Die Bauart 480 entstand, weil es zu wenige Karlsruher Köpfe gab: Der Anteil der Wendezüge nahm stark zu, so dass man Mittelwagen der 2. Klasse umgebaut hat. Erkennbar an sechs Fenstern zwischen den Türen und dem kleinen Fahrradabteil.
Nach dem sogenannten Fäkalien-Prozess wurde auch bei den n-Wagen der Umbau der vormals offenen Toiletten zu geschlossenen Vakuum-Toiletten vorangetrieben. Somit geht auf die Anwohner unter der Rendsburger Hochbrücke kein Fäkalien-Regen herunter.
Mit zwei Sonderfahrten wurden die Freiburger n-Wagen verabschiedet.
Auch wenn die n-Wagen unter Bahninteressierten eine große Anhängerschaft haben, so ist das Ende dieser Wagen richtig: Die Laufeigenschaften der Drehgestelle sind für heutige Verhältnisse miserabel, gerade bei hohen Geschwindigkeiten und engen Weichenstraßen. Außerdem sind die Wagen augenscheinlich nicht barrierefrei; nicht nur die Türen stellen ein Problem dar, sondern auch der hohe und schmale Einstieg. Das Alter macht sich auch an den Übersetzfenstern bemerkbar, so pfeift es nicht selten "aus dem letzten Loch."
Die Aufgabenträger, die den Nahverkehr organisieren, wünschen barrierefreie Züge. Mittlerweile gehören eine Klimatisierung, WLAN, Steckdosen und Fahrgastinformationssysteme zum guten Ton; auch bei einem n-Wagen wäre eine solche Ausstattung möglich, allerdings ist dies bei einem über 40 Jahre alten Fahrzeug, das seine technische Nutzungsdauer weit überschritten hat, schlichtweg nicht sinnvoll.
Die n-Wagen blieben ohne Nachfolger. Die einzigen modernen einstöckigen Nahverkehrswagen sind die Married-Pair-Wagen und die Modus-Wagen, wobei diese unter Zuhilfenahme alter GP200-Drehgestelle entstanden sind, wobei beide Typen verglichen mit der Stückzahl des n-Wagens ziemlich erfolglos waren. Im lokbespannten Nahverkehr haben sich Doppelstockwagen durchgesetzt: Sie haben bei gleicher Länge eine etwa 40% höhere Sitzplatzkapazität, sie sind also platzsparender.
Der Bnrdzf 473.0 ist der Prototyp des Wittenberger Steuerwagens. (Foto: Till Tischer)
Das Ende der n-Wagen erfolgt vermutlich 2019, wenn in Baden-Württemberg die letzten Neufahrzeuge ausgeliefert sein werden.
Es entstanden zwei Prototypen, die sich wohl derart stark voneinander unterscheiden, dass sie unter zwei verschiedenen Bauart-Gattungen geführt werden.
Der Bnrdzf 473.0 entstand aus einem gewöhnlichen Mittelwagen der scheibengebremsten Bauart Bnrz 725. Beim Umbau behielt man die Türanordnung bei, so dass für das Fahrradabteil und für den Führerstand wenig Platz zur Verfügung steht, dies gilt für alle Wittenberger der Bauart 480, die aus Mittelwagen enstanden. Der Führerstand entspricht dem sogenannten „Einheitsführerstand“, der mit der Baureihe 111 eingeführt wurde und neueste ergonomische Erkenntnisse berücksichtigte. Für die Lokführer erhöhte sich der Bedienkomfort im Vergleich zum Karlsruher Kopf erheblich. Die späteren Serien-Wittenberger erhielten ein leicht abweichendes Führerpult. Für seinen Einsatz bei DB Regio Südbaden erhielt der Bnrdzf 473.0 wie alle Freiburger Wittenberger die LZB-Ausstattung, die auf der überlasteten Rheintalbahn zwischen Offenburg und Basel für den flüssigeren Betriebsablauf benötigt wird. Ursprünglich hatte der Bnrdzf 473.0 beim Umbau seine Innenausstattung in der Fervet-Gestaltung behalten. Irgendwann wurde sie gegen Polster in der DBM-Gestaltung ersetzt, während alles andere unverändert blieb. Die Kombination aus Fervet und DBM sieht furchtbar aus.
Der Bnrdzf 473.0 hat kein Fahrgastinformationssystem; der Lokführer musste also stets selbst die nächsten Halte samt Ausstiegsseite ankündigen.
Die beiden Prototypen der Bauart 473.0 und 488.0 lassen sich übrigens leicht erkennen: Die Köpfe wurden bei beiden Wagen aufgesetzt, die Fuge, die den Kopf klar vom übrigen Wagen trennt, ist dabei charakteristisch.
Der Führerstand wurde für die nachfolgenden Steuerwagen nochmals geringfügig überarbeitet. (Foto: Till Tischer)
Die Kombination aus Fervet und DBM ist gewöhnungsbedürftig. (Foto: Till Tischer)
Das Fahrradabteil. (Foto: Till Tischer)
Die Vielfalt der n-Wagen ist unübertroffen und kaum fassbar. Das macht es schwierig für die Modellbahn-Hersteller, entsprechende Modelle umzusetzen, denn natürlich versucht man, Varianten anzubieten, die für möglichst viele interessant sind. Unverständlich ist allerdings, dass es, im Gegensatz zu Mittelwagen, keinen Wittenberger Steuerwagen auf n-Wagen-Basis gibt, sondern nur auf y-Wagen-Basis.
Der Wittenberger Steuerwagen gehört zu den Klassikern für Modelleisenbahner, die den Verkehr ab 1997 abbilden möchten, so dass wir wirklich nur hoffen können, dass sich bald ein Hersteller diesem Problem annimmt.
Das war es von meiner Seite aus. Ich hoffe, dass Euch der Bilderbericht gefallen hat, wie immer freue ich mich über Kommentare, Anmerkungen und insbesondere Anekdoten!
Grüße aus dem Feinstaubkessel,
Viet