RE: Vor 80 Jahren: Das schwerste Zugunglück in Deutschland

#1 von Rangierleiter , 23.12.2019 18:07

Moin,

durch Zufall gefunden, wusste ich bisher nicht:



Zitat

In der Nacht zum 22. Dezember 1939 rasten zwei D-Züge im brandenburgischen Genthin ineinander. 278 Menschen starben, 453 wurden verletzt. Die Tragödie gilt als das schwerste Zugunglück der deutschen Geschichte. Trotzdem erinnert sich heute so gut wie niemand mehr daran.

Einen dicken Ordner mit Unterlagen hat Dieter Rohr im Laufe der Jahre zusammengetragen. Er enthält alles, was er über das schlimmste Zugunglück in der deutschen Geschichte finden konnte. Listen mit den Namen der Toten, Fotos, Zeitungsausschnitte. Dass sich kaum jemand an das Bahnunglück in Genthin erinnert, bei dem 278 Menschen starben und 453 verletzt wurden, liegt wohl auch an der Zeit, in der es geschah. Es war Krieg, und eine Katastrophe dieses Ausmaßes passte nicht in die Zeit.

Es ist der Abend des 21. Dezember 1939, wenige Tage vor der ersten Kriegsweihnacht. Um 23.15 Uhr startet am Potsdamer Bahnhof in Berlin der D-Zug mit der Nummer 10 in Richtung Köln. Eine halbe Stunde später folgt der D 180, der nach Neunkirchen an der Saar soll. Menschen, die zur Arbeit in Munitions- und Rüstungsbetrieben fern der Heimat verpflichtet waren, wollen über Weihnachten nach Hause. Beide Züge sind überfüllt.

Der vorausfahrende D 10 legt mehrere Stopps ein und verspätet sich immer mehr. Der D 180 hält nur in Potsdam und fährt immer weiter auf. Die Sicht ist schlecht in jener Dezembernacht. Nahe des kleinen Ortes Kade übersieht der Lokführer des D 180 ein Vorsignal und fährt in den für ihn gesperrten Streckenabschnitt bei Genthin. Mit Sicherheitstechnik, die den Zug nach dem fatalen Fehler automatisch stoppt, ist die Dampflok nicht ausgestattet.

Der Schrankenwärter in Kade greift zum Telefon, meldet nach Genthin, dass der D 180 durchgefahren ist. Sein Kollege in Genthin will den heranrasenden Zug mit einem Notsignal, einer roten Handlampe, zum Stehen bringen. Das sieht aber der Lokführer des vorausfahrenden D 10 und hält seinen Zug mit einer Schnellbremsung an. Direkt dahinter folgt der D 180 mit unverminderter Geschwindigkeit. Mit über 100 Kilometern pro Stunde rast er 53 Minuten nach Mitternacht unweit des Genthiner Bahnhofs in den stehenden D 10.
Anwohner glaubten an Explosion in Waschmittelwerk

„Wir haben nur einen lauten Knall gehört“, erinnert sich Dieter Rohr. „Meine Tante wohnte näher an der Unglücksstelle. Sie erzählte, dass sie aus dem Bett gesprungen ist, weil sie dachte, das Waschmittelwerk sei in die Luft geflogen.“ Rohr war damals neun Jahre alt und am nächsten Morgen an der Unglücksstelle. „Man hat den Trümmerhaufen gesehen, ein Gewühl von Menschen, hat Schreie gehört.“

Die Rettungsarbeiten gestalten sich schwierig. Es ist Krieg. Wegen der Verdunklung ist nur die Notbeleuchtung eingeschaltet. Das Aufstellen von Scheinwerfern in der Nacht muss extra genehmigt werden. Viele Männer sind eingezogen. Alle verfügbaren Rettungskräfte werden herangeholt, Verletzte mit privaten Autos in die Krankenhäuser gebracht. Die Ärzte dort operieren rund um die Uhr. „Meistens mussten sie Amputationen vornehmen“, weiß Rohr.

Sein Vater wird damals zum Güterbahnhof beordert. Dort werden die Koffer und Taschen der Reisenden gesammelt. Die Toten sind in einer alten Turnhalle aufgebahrt. Die Identifizierung gestaltet sich schwierig. „Es gab damals noch keine Ausweispflicht“, weiß Rohr. „Und von einigen wurden nur abgerissene Gliedmaßen gefunden, die nicht zugeordnet werden konnten. Sie wurden später in einem Massengrab beigesetzt.“

Viele Opfer werden erst nach Tagen unter den Trümmern hervorgeholt. „Es war bitterkalt, wir hatten 15 Grad unter null“, erzählt der Rentner. „Viele sind erfroren, bevor sie gerettet werden konnten.“ Auf einem Foto zeigt er einen völlig zertrümmerten Packwagen. Allein darin starben 35 Menschen. „Das waren alles Soldaten, die in Brandenburg zu Flugzeugführern ausgebildet wurden und andere Züge nicht erreicht haben, weil sie überfüllt waren.“
Opferzahlen immer wieder nach oben korrigiert

Die Bergungsarbeiten dauern eine ganze Woche. Einige Helfer versuchen, persönlichen Gewinn aus der Katastrophe zu ziehen. Mitarbeiter einer Bestattungsfirma werden während der Bergungsarbeiten der Plünderung überführt. Sie werden später hingerichtet. Die Opferzahlen müssen in den Tagen nach dem Unglück ständig nach oben korrigiert werden. Damit erklärt sich Dieter Rohr, dass es über die Katastrophe von Genthin unterschiedliche Zahlen gibt.

Die Deutsche Reichsbahn spricht von 186 Toten und 106 Verletzten, die Stadt Genthin von 278 Toten und 453 Verletzten. „Viele wurden eben erst im Laufe der Aufräumarbeiten gefunden, andere starben später im Krankenhaus, und offiziell wurde die Zahl nie bekanntgegeben. Ich weiß aber von meinem Vater, der damals beim Landratsamt war, dass das Land Sachsen-Anhalt im März 1940 die höhere der beiden Zahlen abschließend nach Genthin meldete.“

Der Lokführer des D 180 und sein Heizer überleben das Unglück. Der Lokführer wird später von einem Gericht zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. In Genthin erinnert seit zehn Jahren ein Gedenkstein an das Unglück.



https://www.welt.de/vermischtes/article5...haBDXkj0yR_lzDI

Tragisch ist hier wohl noch untertrieben.


 
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RE: Vor 80 Jahren: Das schwerste Zugunglück in Deutschland

#2 von supermoee , 23.12.2019 19:26

Hallo,

Nach meiner Rechnung sind es 80 Jahre

Gruss

Stephan


Der Trend geht deutlich zur Zweitanlage hin.


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RE: Vor 80 Jahren: Das schwerste Zugunglück in Deutschland

#3 von Rangierleiter , 23.12.2019 20:00

Danke, ich habe es geändert.


MfG

Thomas


 
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RE: Vor 80 Jahren: Das schwerste Zugunglück in Deutschland

#4 von diebo , 23.12.2019 20:35

Hallo Thomas,
vielen Dank für den Bericht.
Es ist erschütternd!
Wikipedia ergänzt noch:

Zitat
.https://de.m.wikipedia.org/wiki/Eisenbahnunfall_von_Genthin


Noch einen schönen Abend
diebo



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RE: Vor 80 Jahren: Das schwerste Zugunglück in Deutschland

#5 von B VI , 23.12.2019 21:02

Zitat

Hallo,

Nach meiner Rechnung sind es 80 Jahre

Gruss

Stephan



Überschrift des Artikels in der WELT:

VOR 70 JAHREN
Das schwerste Zugunglück in Deutschland
Veröffentlicht am 21.12.2009 | Lesedauer: 4 Minuten

(Hervorhebung von mir)

Zeitungen füllen gerne auch mal (sogar Online-)Ausgaben mit altem Material.

Gruss
Chris


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RE: Vor 80 Jahren: Das schwerste Zugunglück in Deutschland

#6 von XelionRail , 20.01.2020 20:20

Hallo,

diese Geschichte habe ich zum ersten mal Mitte der 80er Jahre im Modelleisenbahner gelesen.
Eine kleine Überraschung gibt es da noch:
Die Zuglok des D180 war 01 158. Diese Lok konnte repariert werden und kam nach dem Krieg zur DR. 01 158 zählte dann zu den 35 Loks der BR 01.0-2, die zur BR 01.5 rekonstruiert wurden. Als 01 0531 überlebte sie dann auch noch den Dampflok-Abgesang in Saalfeld Anfang der 80er, wurde zur Kohlelok 01 1531 umgebaut und steht meines Wissens heute zwar kalt, aber mehr oder weniger komplett in Arnstadt. Wer hätte das erwartet am 23.12.1939 ...

Siehe auch http://www.ebm-arnstadt.de/index.php?opt...id=51&Itemid=58


Grüße aus dem Münchner Outback, André

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RE: Vor 80 Jahren: Das schwerste Zugunglück in Deutschland

#7 von berndm , 20.01.2020 22:40

Zitat

...
Die Zuglok des D180 war 01 158. Diese Lok konnte repariert werden und kam nach dem Krieg zur DR. 01 158 zählte dann zu den 35 Loks der BR 01.0-2, die zur BR 01.5 rekonstruiert wurden. Als 01 0531 überlebte sie dann auch noch den Dampflok-Abgesang in Saalfeld Anfang der 80er, wurde zur Kohlelok 01 1531 umgebaut und steht meines Wissens heute zwar kalt, aber mehr oder weniger komplett in Arnstadt. Wer hätte das erwartet am 23.12.1939 ...


Die Lok war massiv gebaut. Die Wagen waren teilweise noch Holzwagen. Es gibt ein Foto bei dem zu sehen ist wie die Lok praktisch durch einen Packwagen in Holzbauart geschoben wurde. Der Mann im Wagen hat das nicht überlebt.


 
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RE: Vor 80 Jahren: Das schwerste Zugunglück in Deutschland

#8 von Jochen53 , 21.01.2020 16:29

Hallo,
ein sehr tragisches Unglück, das vielleicht hätte vermieden werden können.
Märklin hat mal unter der Marke Primex, mit Sicherheit unbewußt, ein Modell einer Unfall-Lok der BR 01 vertrieben: Die Art.-Nr. P 3193 mit der Betr.-Nr. 01 081. Diese Hofer Lok verunglückte am 17.02.1969 (es war Rosenmontag) mit dem Interzonenzug D 145 an einem Bahnübergang zwischen Luhe-Wildenau und Weiden. Sie war als Vorspann für die 01 173 unterwegs. Ein Tanklaster mit 22000 Litern Heizöl hatte die Schranke durchbrochen und wurde vom Zug gerammt. Die beiden Loks fingen sofort Feuer, das Personal der 01 081 verbrannte auf der Lok, das der 01 173 erlitt schwerste Verbrennungen.
01 173 wurde wieder instand gesetzt, tat bis 1973 Dienst und ging dann zu den Ulmer Eisenbahnfreunden, angeblich ist sie jetzt im Museum in Berlin, die 01 081 wurde am 18.3.69 z-gestellt und am 19.9.69 in Hof ausgemustert. Bei mir läuft das Modell noch gelegentlich auf der Anlage.
Nachdenkliche Grüße, Jochen.


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RE: Vor 80 Jahren: Das schwerste Zugunglück in Deutschland

#9 von Caboose , 27.05.2020 22:14

.
Von diesem schwersten Zugunglück der deutschen Bahngeschichte im Jahre 1939 wusste ich bislang nichts. Ich war
immer davon ausgegangen, dass es der Eisenbahnunfall bei Aßling am 16. Juli 1945 mit 102 - 110 Toten war. Die
ICE-Katastrophe 1998 bei Eschede forderte 101 Tote und dieses schreckliche Unglück bei Langenweddingen im Jahre
1967 hatte 94 Tote zur Folge. Opferzahlen wie bei einem Flugzeugabsturz.

Aber 278 Tote - da kann einem noch einmal ganz anders werden.

Caboose


Gruß, Caboose


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RE: Vor 80 Jahren: Das schwerste Zugunglück in Deutschland

#10 von UPBB4012 , 21.06.2020 20:42

Hallo Jungs!

Zur "01 173":

Zitat
01 173 wurde wieder instand gesetzt, tat bis 1973 Dienst und ging dann zu den Ulmer Eisenbahnfreunden, angeblich ist sie jetzt im Museum in Berlin,

(Hervorhebung von mir)

Sie war nicht nur "angeblich" in einem Museum in Berlin, sie war TATSÄCHLICH in einem dort:
und zwar im ehem. Lokschuppen des Bw Anhalter Bahnhof, welcher zum "Deutschen Technikmuseum Berlin" gehört.

Und seit 2008 ist sie im "Süddeutschen Eisenbahnmuseum Heilbronn - SEH" un d soll dort
wieder betriebsfähig aufgearbeitet werden:
https://01-173.fdtm.de/31-1-start

Viele liebe Grüße,
Euer
Axel


Mein "Zuhause":
http://www.bahnhof-odendorf.de
Der "Zweitwohnsitz":
viewtopic.php?f=51&t=48501

"Bevor ich mich jetzt Aufrege, isses mir lieber egal!"


 
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RE: Vor 80 Jahren: Das schwerste Zugunglück in Deutschland

#11 von Max_S , 28.06.2020 20:03

Ich hatte mich (zufällig) vor kurzem damit befasst: https://www.reddit.com/r/CatastrophicFai...rain_collision/

Zitat

.
Von diesem schwersten Zugunglück der deutschen Bahngeschichte im Jahre 1939 wusste ich bislang nichts. Ich war
immer davon ausgegangen, dass es der Eisenbahnunfall bei Aßling am 16. Juli 1945 mit 102 - 110 Toten war. Die
ICE-Katastrophe 1998 bei Eschede forderte 101 Tote und dieses schreckliche Unglück bei Langenweddingen im Jahre
1967 hatte 94 Tote zur Folge. Opferzahlen wie bei einem Flugzeugabsturz.

Aber 278 Tote - da kann einem noch einmal ganz anders werden.




Es scheint verschiedene Interpretationen zu geben.
Kollision vs. Einzelzug, DDR/BRD/Vorkrieg.


Ex-Teppichbahner bei der Rückkehr ins Modellbahnhobby, Stück für Stück. Wissenslücken bitte verzeihen.


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Güterverkehr im Bundesarchiv (Link)
Die SAB (schwäbische Alb Bahn) auf der Pfullendorfer Strecke

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