Zuerst geht es aus dem Bahnhofsgebäude hinaus, dann durch eine lange Unterführung, und dann die Treppe hinaus –und da ist auch schon der Zollbereich Richtung Frankreich.
Ein paar von uns wundern sich, warum der Weg zum Anschlusszug so weit ist, aber ich erkläre ihnen, dass das daran liegt, dass in Frankreich mit einem anderen Stromsystem gefahren wird und dass es für die Bahn Richtung Elsaß einen eigenen Bahnhof der SNCF gibt.
Gut, das sieht man schon, das Bahnhofsgebäude sieht etwas altertümlich aus, ebenso die Bahnsteigüberdachung. Wir werden also zuerst zum Zoll geleitet und müssen dort mit einigen Reisenden eine Weile warten, weil die Zollabfertigung erst eine halbe Stunde vor der Abfahrt beginnt. Endlich geht der Rolladen auf. Hm, jetzt sind es zwei Zöllner, die ganz schön streng gucken. Herr Schellhorn zeigt auch ihnen den Schrieb von wegen Schüleraustausch „“Échange Scolaire Cavembourg-Ville et Müselbach, Autriche“. Lena muss ihren Koffer aufmachen. Sie werfen einen kurzen Blick rein und winken uns dann durch. Irgendwie schon beklemmend. Alle sind wir froh, als wir dann durch die „Douane“ durch sind. Weiter hinten am Gleis steht eine französische Gleichstromlok. Ich renne vor mach ein Bild und
„Arrête, Toni, viens ici!“ tönt es von der Gruppe her. Herr Schellhorn hat also wirklich seine Androhung wahr gemacht und redet französisch mit uns. Ja, ist gut, ich komm ja schon. Und bei der Gruppe die zweite Überraschung. Herr Schellhorn – wir müssen ja jetzt „Monsieur Schell’oorn“ zu ihm sagen steht bei seinem Koffer und zündet sich seelenruhig eine Gauloise an. Der war doch immer Nichtraucher?! „Alors, quelles sont nos compartiments réservés?“ fragt er Fritz. Der stottert herum, dass er nicht weiß, in welchem Wagen unsere reservierte Abteile sind, „je ne sais pas, Monsieur“. Aber Otto schlägt vor, alle bleiben da, und er geht mit mir den Zug entlang, ob sie etwas angeschrieben sehen?
„Oui, les garcons, allez-y, mais vite, vite!“ Gehorsam rennen wir los. Und tatsächlich schon beim dritten Wagen haben wir etwas gefunden und holen die anderen.
Und dann holen wir die anderen. Monsieur Schell’oorn hat inzwischen fertiggeraucht und steigt mit uns ein. Die Fränzi, deren Papa ist auch Lehrer an unserer Schule, die flüstert uns zu, dass ihr Papa gesagt habe, dass Herr Schellhorn in Frankreich rauche. Aber nur in Frankreich. Sonst sei er Nichtraucher. Kurios, oder?
Unser Zug nach Strasbourg ist ein „train express regional" – ein regionaler Eilzug. Interessant ist, in was für einem Wagen wir gelandet sind. Es ist ein Abteilwagen, in dem 3 Abteile für uns reserviert sind, und über uns, das sind doch… „Oui, Toni, c’est une voiture couchette!“ schmunzelt Monsieur Schell’oorn. Ja, ein Liegewagen mit 6 Liegen in 3 Höhen. Nun natürlich zusammengeklappt in Tagesstellung. Warum der bei Tag im Personenzug fährt, weiß ich auch nicht. Während draußen das Elsass vorbeizieht (wir fahren wieder im Rechtsverkehr) hören wir Referate über Cavembourg.
Über die Geschichte von Königin Paula (Sara), über das kluge Verhalten der Cavis im ersten Weltkrieg (Otto ) – zum Glück alles auf deutsch. Monsieur Schell’oorn kommentiert natürlich auf französisch. Ich kann nicht sagen, dass ich alles verstehe, aber so komme ich nicht von meinem Platz weg. Nach Colmar (hier sei lt. Monsieur Schell’oorn in einem Museum der “Isenheimer Altar eine interessante Sehenswürdigkeit zu sehen) winkt bei Séléstat eine imposante mittelalterliche Burg majestätisch ins Rheintal hinunter – das ist lt. Mr. Schell’oorn die Haute-Koenigs-Bourg, die in der Zeit, als das Elsass zu Deutschland gehörte, restauriert wurde.
Kurz vor Strasbourg kommt der Schaffner, der uns extra noch darauf hinweist, dass dort die Endstation unseres Zuges sei, und wir alle aussteigen müssten „Strasbourg - Ville Terminus!“
So stehen wir dann (unser Zug hatte 5 Minuten Verspätung) auf dem Bahnsteig in der imposanten Bahnsteighalle. Unser Zug sollte in 12 Minuten kommen. Als ich hinüber auf die andere Seite schaue, sehe ich einen orangen Elektrotriebwagen:
Ein TGV! Ich hatte gelesen, dass diese Flaggschiff der SNCF ab 1981 unterwegs nach Südfrankreich sein würde, wusste aber nicht, dass es hierzu im Elsass im Vorlauf dazu offensichtlich Probe- und Ertüchtigungsfahrten gibt.
Auf dem Nachbargleis steht ein unscheinbarer Dieseltriebwagen. Als ich auf den ( mit dem Einverständnis des rauchenden Monsieurs Schell’oorn – „D’accord, Toni, mais seulement pour un photo!“)zu schlendere höre ich plötzlich einen Hubschrauber starten. Hier in der Bahnhofshalle? Ich schaue mich suchend um, und entdecke eine schwarze Abgaswolke über dem Triebzug.
Also doch kein Dieseltriebwagen, sondern ein Vorgänger des TGVs (Train à Grande Vitesse – dt.: Hochgeschwindigkeitszug), ein RTG (Rame à Turbo Gaz- dt. Gasturbinentriebzug), genannt „Turbotrain“ – dieser verkehrt nach Südfrankreich und wird dann wohl vom TGV abgelöst werden. Wißt ihr eigentlich, dass der TGV ursprünglich als Gasturbinenzug entwickelt worden war?
Folgsam kehre ich zu den anderen zurück. Unser Lehrer hat inzwischen fertiggeraucht. Mittlerweile wird unser Zug angezeigt – und fährt kurz darauf ein, bespannt mit einer blau-weissen Diesellok ein. Ungeschickterweise hatte ich meinen Foto nicht gespannt, weshalb es kein Bild davon geben kann. Es ist ein „Rapide“, ein Schnellzug nach Amsterdam über Metz – Thionville - Luxembourg – Cavembourg – Bruxelles Nord - Antwerpen. Ganz auf der Spur des TEEs „Edelweiss“ fällt mir ein. Der verkehrte ab Zürich bis vor zwei Jahren auf diesem Laufweg und fuhr einige Jahre mit den SBB / NS RAm - TEE – Triebzügen, welche erstklassigen Komfort boten. Aber das hat sich wohl nicht rentiert.
Aufnahme 1973 in Mulhouse, Bild von Wikimedia: Autor Joachim Lutz, Lizenz CC BY-SA 4.0 Bildlink: [url]https://de.wikipedia.org/wiki/SBB_RAm_TEE_/_NS_DE_IV#/media/Datei:SBB_RAm_TEE_I_(B).jpg][/url]
Nun, unser Zug ist etwas weniger luxuriös, aber durchaus komfortabel, in den Großraumwagen aus Edelstahl („inox“ sind die Sitze mit echtem Leder bespannt, es gibt sogar eine Klimaanlage (darum leider kein Fenster zum Öffnen). Wir haben unsere reservierten Plätze bald gefunden und der Zug ruckt an. Unglaublich, wie leise wir dahingleiten! Über Lautsprecher begrüßt der Zugbegleiter auf französisch und deutsch (naja, mit etwas Akzent) die Fahrgäste „in Direktion von Amsterdam“. Gut, soweit fahren wir heute nicht mehr – aber irgendwann freuen wir uns so langsam alle aufs Ankommen. Ich halte zwischendurch noch mein Referat über die Entwicklung des Bahnschnellverkehrs in Cavembourg in den 30-er Jahren, was augenscheinlich die Mädchen nicht wirklich interessiert. Seis drum. Danach packe ich noch mein verbliebenes Vesper aus. Wir werden ja dann gegen 20:00 ankommen, und bis dahin sollte das Vesper weg sein. Leider passiert mir ein kleines Missgeschick, als ich in die saftige Tomate reinbeisse – Hemd und Krawatte sind verspritzt, ich muss mich umziehen. Schade, ich wollte doch chic sein!
Während es draußen anfängt zu dämmern steigt bei uns im Zug die Spannung mehr und mehr. Wie werden unsere Austauschpartner und ihre Familien sein? Wird sich Otto mit seiner Fabrice verstehen? Werden wir unsere Gastgeber auch gleich finden am Bahnhof? Wie ist das Programm für morgen? Müssen wir auch in die Schule? Ob Monsieur Schell’oorn da mehr weiß? „On va vous instruire à la Gare“ – das erfahrt ihr am Bahnhof. Na toll. Kurz vor Luxembourg wird angesagt – leider nur noch auf französisch, dass aussteigende Fahrgäste dort am Bahnhof durch die Zollabfertigung müssen.
Inzwischen ist es dunkel geworden. Noch knappe 20 Minuten bis Cavembourg! Da knistert es wieder im Lautsprecher und eine Ansage, französisch und deutsch: „Miene Damen und Herren, In wenigen Minüten wir werden erreichen Cavembourg-Ville. Die Zollbeamten sind schon im Zug ünterwegs, falls Sie in Cavembourg ausstiegen, bitte präsentieren Sie die Passports. Gerne begrußen wir Sie wieder in unserem Zügen – der Reisegruppe de Muselbach wünschen wir eine schöne Woche im Cavembourg – au revoir.“ Kaum waren die beiden Zöllner da, ziehen wir unsere Jacken an und gehen mit unseren Koffern in den Einstiegsraum. Die Lichter einer großen Stadt werden sichtbar, einige interessante Züge auf den Nachbargleisen, da hinten ein hell erleuchtetes Bahnbetriebswerk - die Bremsen quietschen, der Zug verlangsamt seine Geschwindigkeit, und hält an. Bonsoir Cavembourg– wir sind glücklich angekommen, sommes bien arrivés.
Euer Toni.
PS: Hier könnt ihr sehen, was wir in Cavembourg erleben.