Zitat von Ronny_Sommer
Die Einteilung der einzelnen Epochen ist, wenn man sich damit auch mal beschäftigt und nicht pauschal ablehnt, sehr sinnvoll weil nach einschneidenden Vorkommnissen gewählt.
Hallo Ronny,
es tut mir Leid, aber bedauerlicherweise ist das nur der übliche, kurzsichtige, Modellbahnersprech. Am "Stammtisch" mag so etwas durchgehen, aber in der richtigen Welt muß man sich fragen:
1.
Welche "einschneidenden Ereignisse" meinst Du? Wenn man sich wirklich mit diesen Modellbahnepochen auseinandersetzt, fällt sofort auf, daß die Kriterien willkürlich sind. Die Epoche I umfaßt einen Zeitraum von über 125 Jahren! in dieser Zeit entwickelte sich die Pferdeschleppbahn des späten 18. Jahrhunderts zu einem elektrischen Verkehrsmittel, das kurz nach 1900 die 200 Km/h-Grenze durchbrach. Außerhalb des Bahnwesens gab es Kriege und Revolutionen; Grenzen wurden gezogen oder brachen in sich zusammen, und diese ganze, turbulente Zeit soll nur eine Epoche sein? Außerdem bezeihen viele der von Dir genannten Ereignisse sich auf Deutschland. In den Niederlanden waren die Pleite der Rheineisenbahn und die darauffolgende Neuordnung des Bahnnetzes ein Ereignis, das eine neue Epoche gerechtfertigt hätte. Darüber hinaus wurden nicht nur die Betriebsverhältnisse auf vielen Strecken neu geordnet; genau um diese Zeit gleichzeitig erschienen einige neue Loktypen und Lackierungsvarianten - aber da das Epochensystem im Grunde Deutsch ist, wird so etwas nicht berücksichtigt. Man hat versucht, die Modellbahnepochen durch länderspezifische Normen zu verbessern, aber letztendlich bedeutet das nur das Eingeständnis, daß das ursprüngliche System kaputt war, und verbessert wird damit nichts: Die NEM hat den Anspruch, Europäisch(1) zu sein. Jetzt bricht das allgemein gültige System in für jedes Land getrennte Fragmente auseinander.
2.
Und warum wurden manche Ereignisse berücksichtigt, und andere ignoriert? Welche Ereignisse sollen überhaupt wichtig sein? Wir haben gesehen, daß die Modellbahnepochen in erster Linie auf Deutschland bezogen sind. Vermutlich können wir uns auch darauf einigen, daß das Ende des 2. Weltkriegs ein Wendepunkt in der deutschen Geschichte ist, der mit der Grenze zwischen den Ep. II und III berücksichtigt wird.(2) Aber was geschah nicht alles in der Epoche II... Nach der Gründung der Weimarer Republik gab es die Inflation, die Wirtschaftskrise, die Machtübernahme der Nazis, die Aufrüstung des dritten Reiches, die Annektierung benachbarten Staatsgebiets, den 2. Weltkrieg, den Holocaust, und ganz am Ende das Kriegsende mit der "Stunde Null". All diese Ereignisse waren verdammt "einschneidend" oder? Und für den gemeinen Modellbahner ist dieser ganze Brocken Geschichte nicts weiteres als "Epoche zwei". Gut: man hat auch hier versucht, durch eine Verfeinerung in die Ep. II a, b und c eine gewisse Abhilfe zu schaffen, aber auf hier müssen wir leider feststellen, daß es nur Flickschusterei bleibt.
Zitat von Ronny_Sommer
Die Epochen dienen dem Laien als ersten Einstieg
Die meisten "Laien" sind um Längen klüger als manchen eingefleischten Modelleisenbahner. Die NEM-Epochen sind in Wirklichkeit eine Ausrede für faule Menschen, sich nicht mit der Außenwelt, oder um es in der Mobasprache zu sagen, dem "Vorbild" zu befassen. Es geht am Ende nicht darum, daß wir uns über die NEM informieren, sondern, daß wir durch die Modellbahn etwas über die richtige Welt lernen. (3)
EDIT:
1: Gilt das Epochensystem überhaupt für ganz Europa? Die Geschichte in Rußland und der UdSSR hatte zum Beispiel ihre eigenen Wendepunkte. Gleiches gilt für Spanien, Portugal, Irland und das Vereinigte Königreich. Man kann sagen, daß die NEM-Epochen sich in erster Linie auf das europäische Normalspurnetz beziehen, aber das wäre nicht nur die nächste Ausrede, ein undurchdachtes System beizubehalten, es ließe auch die Tatsache außer Betracht, daß dieses Bahnnetz sich bis in den nahen Osten und nach Nordafrika ausstreckt. Damit kommen neue Geschichtsereignisse, wie die Dekolonisierung ins Spiel.
2: Was ist mit Ländern, die zwar vom 2. Weltkrieg betroffen waren, aber aufgrund ihrer Neutralität nicht direkt in den Krieg hineingezogen wurden? Schweden und die Schweiz wären Vorbilder.
3: Ich habe dieses Post zu schnell geschrieben und eine wichtige Frage außen vor gelassen: Weiß der User 4 REV es besser? Gibt es eine Alternative zu den NEM-Epochen? Was ist zu tun? Antwort: Nichts. Man kann die NEM glatt ignorieren, wenn man will. Sie wurde nicht als 11. Gebot von Moses den Berg heruntergetragen und niemand wurde von der Modellbahnpolizei mitgenommen, weil er etwas "falsch" machte. Einige der ersten Normen (Radprofil, Lichtraum usw.) sind sehr nützlich, aber wer soll sich die Geschichte vorschreiben lassen, wenn er nachdenken kann? Außerdem sehen wir auch bei den eher technischen Normen, daß sie nach Lust und Laune der Verfasser geändert werden (Siehe die Diskussion um NEM 310 aus 2009).