Moin,
heute auf der Arbeit hatte ich einen rüstigen 93-jährigen Herrn in der Beratung, der aufgrund einer Hüft-OP temporär auf den Rollstuhl angewiesen war. Meine Kollegen hatten mich schon vorgewarnt. "Wenn der erstmal erzählt, dann musst du die Uhr im Auge behalten..."
Der eigentliche Auftrag der nachstationären häuslichen Versorgung war zügig abgearbeitet.
Wie mir der Mann erzählte, ist er nach seiner Kriegsgefangenschaft Anfang 1946 bei der Bahn angefangen. Er wollte Lokführer werden, doch die britischen Besatzer erlaubten zunächst noch keine Ausbildungen. So begann er zunächst in einem Hamburger AW und besserte noch brauchbare Lokomotiven aus. Bald darauf begann er dann seine Ausbildung zum Lokomotivführer. Das war natürlich nicht so eine nach heutigem dualen System, sondern erst 3 Jahre als Heizer, dann als Lokführer im Rangierdienst, auf Strecke mit leichten Güterzügen, bis hin zum Personenverkehr. Pensioniert wurde er dann Ende der 80er. Zum Ende seiner aktiven Zeit fuhr er auf der 218.
Ich habe die Gelgenheit genutzt und mal nach Herzenlust alles gefragt, was mich am Dienst auf den Dampfloks schon immer interessiert hat. So erklärte er mir sehr anschaulich, wie man eine Lok befeuert, wohin man die Kohlen wie legen muss, damit man guten Dampf hat. Wie ein Ruhefeuer aufgebaut wird und man es mit wenigen Handgriffen dahin verwandelt, dass die Lok Dampf bekommt.
Auch erzählte er mir über die Eigenarten einiger Lokführer vom ganz alten Schlag, also derjenigen die noch für die KPEV fuhren. Einer dieser altn Strategen, angetan mit dicker Uhrkette, machte ihm gleich beim Aufrüsten der Lok klar, dass die rechte Seite der Lokomotive für ihn tabu sei. Was ein gutes Feuer sei, dass hat er eher durch lesen der Mimik des Meisters, als durch Anweisungen gelernt.
Die Ausbildung zum Lokführer haben dann mehr die jüngerern Übernommen.
Der Mann war beim BW Hamburg-Rothenburgsort stationiert. Über die 50er war er voll des Lobes, die 82er bezeichnete er als "Spielzeuglokomotiven".
Auch berichtete er über Güterzugtouren von Hamburg nach Bremen. Zu Beginn der 50er Jahre lag die Höchstgeschwindigkeit der Güterzüge bei kaum mehr als 40 km/h. So dauerte die 100 Kilometer lange Tour dann auch gute sechs Stunden, da bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Seite gefahren werden musste, um den Personenverkehr vorbei zu lassen. Ursache waren der Zustand des Oberbaus, wie auch der des Wagenmaterials. Ich sprach ihn auf Heißläufer an. "Ach," sagte er, "die waren noch das kleinste Problem, dann hat man die eben von der Bremse genommen, den Schlauch durchgeführt und dann ging's. Die Wagen damals in sehr schlechtem Zustand und gegen Ende des Krieges hat man zugesehen, dass alles was noch brauchbar war Richtung Westen ging. Sie glauben gar nicht, was da aus in Büchen aus der Ostzone kam."
Und er hatte noch einige Anekdoten aus dm Alltag der Eisenbahner in der frühen Epoche III auf Lager, die ich aufgrund der Fülle gerade nicht richtig koordiniert zusammen bekomme.
Ja, meine Kollegen hatten Recht. Ich musste die Uhr im Auge behalten, leider.
Warum ich das jetzt hier geschrieben habe? Das was mir der Mann erzählte hat, findet man hin und wieder mal in der Eisenbahn-Literatur. Und da finde ich das schon spannend zu lesen. Es ist aber etwas Anderes, wenn dir einer der wenigen noch lebenden alten Eisenbahner, die den Beruf des "klassischen" Lokführers noch von der Pieke auf gelernt hat, gegenübersitzt, aus dem Nähkästchen plaudert und du ihn alles fragen kannst. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich so ein eine Gelgenheit (und so ein Vergnügen) nicht noch einmal erleben werde. Da ist dann auch ein bischen Wemut dabei; es gibt bald keine Menschen mehr, die noch richtig mit einer Dampflok
im harten Alltageinsatz umzugehen verstanden haben.
Schöne Grüße aus Ostholstein
Matthias